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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Autoren: Ian Morris
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konfuzianischen Schriften nach Beijing führte? Wie kam es, dass britische Schiffe sich 1842 den Weg über den Jangtse freischießen konnten und nicht chinesische Dschunken den über die Themse? Kurz gesagt: Warum regiert der Westen die Welt?
    »Regieren« mag leicht übertrieben klingen angesichts der Tatsache, dass »der Westen«, wie immer wir diesen definieren (eine Frage, auf die wir später zurückkommen), seit damals nicht eben eine Weltregierung anführt und darüber hinaus mit schöner Regelmäßigkeit scheitert, wenn er seinen Willen durchsetzen will. Viele von uns werden alt genug sein, um sich an den unrühmlichen Abzug der US-Truppen aus Saigon zu erinnern, das heute Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, oder daran, wie japanische Fabrikate in den 1980er Jahren die westliche Konkurrenz vom Markt verdrängten. Und fast jeder von uns hat das Gefühl, dass alles, was wir heute kaufen, »Made in China« ist. Aber ebenso unbestritten ist auch, dass in den letzten hundert Jahren westliche Truppenverbände nach Asien geschickt wurden und nicht umgekehrt. Ostasiatische Regierungen haben sich mit kapitalistischen und kommunistischen Ideologien auseinandergesetzt, aber keine westliche Staatsführung hat sich je an konfuzianischen oder daoistischen Prinzipien orientiert. Im Osten findet die Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg nicht selten in englischer Sprache statt; Europäer werden kaum Mandarin oder Japanisch sprechen, um sich miteinander zu verständigen. Wie ein malaysischer Anwalt dem britischen Journalisten Martin Jacques einmal rundheraus gesagt hat: |20| »Ich trage eure Anzüge, ich spreche eure Sprache, ich sehe mir eure Filme an, und wir haben heute dieses oder jenes Datum, weil ihr sagt, dass es so ist.« 1
    Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Seit Victorias Männer Looty aus Beijing fortbrachten, hat der Westen rund um den Erdball eine Vormachtstellung inne, die beispiellos ist in der Geschichte der Menschheit.
    Ich habe mir zum Ziel gesetzt, das zu erklären.
    Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als hätte ich mir damit nicht allzu viel vorgenommen. Man ist sich im Großen und Ganzen darin einig, dass der Westen die Welt regiert, weil die industrielle Revolution hier und nicht im Osten stattgefunden hat. Im 18. Jahrhundert entfesselten britische Fabrikanten die Kraft von Dampf und Kohle. Fabriken, Schienennetze und Kanonenboote versetzten Europäer und US-Amerikaner im 19. Jahrhundert in die Lage, ihr Machtgefüge rund um den Erdball auszuweiten; ein Jahrhundert später dienten Flugzeuge, Computer und Atomwaffen ihren Nachfolgern dazu, diese Macht zu zementieren.
    Das heißt natürlich nicht, dass kein anderer Gang der Dinge möglich gewesen wäre. Hätte Kapitän Elliot 1839 Lord Melbourne nicht zu seiner Entscheidung genötigt, so hätte der britische Angriff gegen China im gleichen Jahr vielleicht nicht stattgefunden; hätte Daoguangs Sonderkommissar Lin Zexu der Befestigung der Küsten mehr Aufmerksamkeit geschenkt, so hätten die Briten möglicherweise keinen so leichten Sieg erringen können. Es heißt aber sehr wohl, dass der Westen im 19. Jahrhundert in jedem Fall den Sieg davongetragen hätte, gleichgültig, wann die Lage eskaliert wäre, wer auf welchem Thron gesessen und wer die Wahlen gewonnen und die Streitkräfte befehligt hätte. Der britische Schriftsteller und Politiker Hilaire Belloc brachte es 1898 auf den Punkt:
     
    Egal was kommt, wir haben die Maxim-Gun, nicht aber sie. 2
     
    Ende der Geschichte.
    Nur dass es natürlich nicht das Ende der Geschichte ist. Es wirft lediglich die nächste Frage auf:
Warum
hatte der Westen das Maxim-Maschinengewehr und die anderen nicht? Das ist die erste Frage, die ich stelle, weil uns die Antwort verrät, warum der Westen heute die Welt regiert. Und mit dieser Antwort gerüstet können wir eine zweite Frage stellen. Europäer und Amerikaner interessieren sich nicht zuletzt deshalb dafür, warum der Westen regiert, weil sie wissen wollen, ob, wie lange und auf welche Weise sich dieser Zustand auch in Zukunft erhalten lässt – mit anderen Worten: was als Nächstes passiert.
    Diese Frage stellt sich immer drängender, seit sich Japan im 20. Jahrhundert zu einer Großmacht entwickelte hat; seit Beginn des 21. Jahrhunderts kommt man nicht mehr um sie herum. Chinas Wirtschaft wächst so rasant, dass das Land vermutlich spätestens 2030 die größte Wirtschaftsmacht der Welt sein wird. Anfang 2010, während ich an diesem Buch schreibe, richten
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