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In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten
Autoren: Barbara Hambly
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1. KAPITEL
    “Tessa?”
    Oben, auf dem ersten Absatz der hohen Treppe, brannte schwaches Licht. Maddie Laveau zog ihren Dufflecoat fester um die Schultern und warf noch einmal einen ängstlichen Blick auf die Tür mit den Glasfenstern, die gerade hinter ihr zugefallen war. Von der East Twenty Ninth Street, der 29. Straße, fiel das gelbe Licht der Straßenlaternen in die schmale Eingangshalle mit der kleinen Pförtnerloge. Normalerweise saß hier Quincy, der Hausmeister, aber der war vor knapp einer Stunde, so gegen 22 Uhr, nach Hause gegangen – zum Glück, denn Maddie war nicht in der Stimmung, sich einen endlosen Monolog über Steuern und die Republikanische Partei anzuhören. Es roch nach modrigen Teppichen und Jahrzehnte altem Zigarettenrauch. Die Haustür war abgesperrt gewesen, und Maddie hatte sie ebenfalls sofort wieder hinter sich abgeschlossen, nachdem sie mit Tessas Schlüssel aufgesperrt hatte.
    Doch wenn, sagte sie sich, ihre Mitbewohnerin einen Schlüssel besaß – der vom Schlüssel eines anderen Tanzschülers nachgemacht worden war, der ihn wiederum von einem ehemaligen Tanzlehrer des “Dance Loft” ausgeliehen hatte – dann hatte Gott weiß noch wer alles einen.
    Mit heftig klopfendem Herzen ging Maddie die dunkle Treppe hinauf.
    “Tessa, bist du da?”
    Stille. Obwohl das “Glendower Building” immer schon einen gespenstischen Eindruck auf Maddie gemacht hatte, hatte sich hier eine der angesehensten Tanzschulen der Stadt eingemietet. Maddie wusste nicht genau, warum sie ausgerechnet hier ein so schlechtes Gefühl hatte – es gab bei Gott genügend andere Gebäude in New York City, darunter das Haus, in dem sie selbst wohnte, die genauso alt, schäbig und schlecht beleuchtet waren.
    Doch seit sie vor mittlerweile 24 Monaten zum ersten Mal einen Fuß in das Glendower gesetzt hatte, machte dieses Haus sie jedes Mal nervös – als wäre da irgendetwas, das ihr ständig über die Schulter sah.
    Schnell lief sie weiter die Treppen hinauf – vorbei an dem Laden für Tanzkleidung im ersten Stock und den Lagerräumen und Büros im zweiten – und sah sich dabei immer wieder ängstlich um.
War es möglich, dass sich unten in der Eingangshalle jemand versteckte?
Nein, nicht einmal eine Barbiepuppe hätte sich hier irgendwo verbergen können. Während der letzten Renovierungsarbeiten in den 80ern hatte irgendjemand das Treppenhaus rosa und grau ausgemalt, was damals gerade modern gewesen war – allerdings ohne vorher die alten Tapeten von den Wänden zu entfernen oder neue Lampen anzubringen. Alles wirkte heruntergekommen. Maddie nahm an, dass unter dem grauen Teppichboden uralte Teppichfliesen und das braune Linoleum vor sich hin moderten, die in den oberen Stockwerken noch zu sehen waren. Um bis zu dem Holzboden vorzudringen, der ursprünglich um 1890 verlegt worden war, müsste man vermutlich – wie bei einer archäologischen Ausgrabung – zahlreiche Schichten abtragen.
    Während der Monate, in denen sie in einem der kleineren Tanzstudios des Dance Loft Bauchtanz unterrichtete hatte, hatte Maddie sich immer nur höchst ungern am Abend in diesem Haus aufgehalten. Charmian Dayforth, der Besitzer, schien keinerlei Bedenken zu haben, Tanzschülern und -lehrern oder den Aushilfssekretärinnen, die so schnell kamen und wieder gingen wie die Ehefrauen diverser Hollywood-Stars, einen Schlüssel auszuhändigen. Trotz der siebeneinhalb Jahre, die Maddie nun schon in New York lebte, bewegte sie sich in diesem Gebäude immer noch mit äußerster Vorsicht und umklammerte dabei stets den Pfefferspray in ihrer Handtasche.
    Tessa, ihre Mitbewohnerin, war seit genau sechs Monaten in der Stadt. Und obwohl das Mädchen selbstsicher war und durchaus resolut auftrat, war die Kleine doch erst achtzehn.
    Und genau das war der Grund, warum Maddie nun in einer eisigen Januarnacht um fast elf Uhr im Halbdunkel die Treppe hinaufeilte, nachdem sie den ganzen Abend im Restaurant “Al-Medina” in der Lexington Avenue getanzt hatte. Tessas Ballettunterricht für Fortgeschrittene war offiziell um 22 Uhr zu Ende, doch die Tanzlehrerin überzog gern – besonders jetzt, da das Vortanzen für die “ABA”, die “American Ballett Academy”, kurz bevorstand.
    Auch Tessa blieb wegen des Vortanzens in letzter Zeit immer länger.
    Was – angesichts der Gegend, von der man in Briefen nach Hause besser nichts erwähnte – keine gute Idee war … Doch Tessa hatte ohnehin niemanden in El Paso, dem sie hätte schreiben
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