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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer
Autoren: Lev Grossman
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BROOKLYN
    Quentin übte einen Zaubertrick und keiner bemerkte es.
    Gemeinsam schlenderten sie den trostlosen, holprigen Bürgersteig entlang: James, Julia und Quentin. James und Julia gingen Hand in Hand. Daran würde er sich wohl gewöhnen müssen. Quentin trödelte hinter ihnen her, trotzig wie ein kleines Kind. Am liebsten wäre er mit Julia allein gewesen, oder für eine Weile sogar ganz allein, aber man konnte eben nicht alles haben. Darauf schien zu diesem Zeitpunkt jedenfalls alles hinzuweisen.
    »Okay!«, rief James über die Schulter hinweg. »Q. Wie lautet unsere Strategie?«
    James schien einen sechsten Sinn dafür zu haben, wenn Quentin in Selbstmitleid zu versinken drohte. Quentins Vorstellungsgespräch begann in sieben Minuten. James kam gleich nach ihm an die Reihe.
    »Freundlicher, fester Händedruck. Häufiger Blickkontakt. Wenn er sich so richtig wohlfühlt, ziehst du ihm einen Stuhl über den Kopf und ich knacke sein Passwort und schreibe unter seiner E-Mail-Adresse nach Princeton.«
    »Verhalte dich einfach ganz normal, Q«, riet Julia.
    Ihr welliges dunkles Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Dass sie immer so nett zu ihm war, machte es irgendwie noch schlimmer.
    »Etwas anderes habe ich doch gar nicht vor, oder?«
    Während er antwortete, übte Quentin erneut den Zaubertrick. Es war ein ganz einfacher Trick, ein einhändiger Grundkniff mit einer kleinen Münze. Er übte in seiner Manteltasche, damit keiner es sehen konnte. Er wiederholte ihn noch einmal, jetzt rückwärts.
    »Ich wette, ich errate sein Passwort auf Anhieb«, behauptete James. » HappyTiger69. «
    »Oder: BadKitty4U. «
    »Denk dran, der Typ ist schon über fünfzig«, wandte Quentin ein. »Da kann sein Passwort nur password lauten, oder?«
    Kaum zu glauben, wie lange das jetzt schon so geht, dachte Quentin. Sie waren erst siebzehn, aber er hatte das Gefühl, James und Julia schon seit einer Ewigkeit zu kennen. Es war Schicksal: Das Schulsystem in Brooklyn siebte die Begabten aus und pferchte sie zusammen. Von den einfach nur Begabten trennte es die absurd Brillanten und schloss diese zu einer Elitegruppe zusammen. Infolgedessen waren sie sich seit der Grundschule immer wieder bei den gleichen Rhetorik-Wettbewerben, regionalen Latein-Examen und exklusiven, speziell konzipierten, ultra-schweren Mathematik-Kursen begegnet. Die strebsamsten aller Streber. Die absoluten Nerds. Jetzt, in der Abschlussklasse, kannte Quentin James und Julia besser als irgendjemanden sonst auf der Welt, einschließlich seiner Eltern, und sie kannten wiederum ihn in- und auswendig. Jeder wusste, was der andere sagen wollte, bevor er es aussprach. Jeder hatte längst vorher gewusst, wer mit wem schlafen würde. Julia – die blasse, sommersprossige, verträumte Julia, die Oboe spielte und sogar mehr über Physik wusste als er – würde niemals mit Quentin schlafen.
    Quentin war dünn und lang. Er besaß die Angewohnheit, die Schultern einzuziehen, in dem vergeblichen Versuch, sich gegen eine wie auch immer geartete Himmelskatastrophe zu wappnen, die logischerweise die Hochgewachsenen zuerst treffen würde. Sein schulterlanges Haar gefror in der Kälte zu klumpigen Strähnen. Er hätte nach dem Sport die Geduld aufbringen und es trocknen sollen, vor allem in Anbetracht seines heutigen Aufnahmegesprächs. Die tiefhängenden grauen Wolken verhießen Schnee. Quentin hatte den Eindruck, als inszeniere die Welt speziell für ihn kleine Stillleben der Trübsal: Krähen, die auf Stromleitungen hockten, zertretene Hundescheiße, vom Wind zerstreuter Müll und die Leichen unzähliger nasser Eichenblätter, die auf unzählige Arten von unzähligen Autos und Fußgängern geschändet worden waren.
    »Gott, bin ich satt«, stöhnte James. »Ich habe zu viel gegessen. Warum muss ich mich immer so vollstopfen?«
    »Weil du ein gieriges Ferkel bist?«, schlug Julia vor. »Weil du es satt hast, deine eigenen Füße zu sehen? Weil dein Bauch bis zum Penis runterhängen soll?«
    James verschränkte die Hände hinter dem Kopf, die Finger im welligen, kastanienbraunen Haar, den kamelfarbenen Kaschmirmantel trotz der Novemberkälte weit geöffnet, und rülpste lautstark. Kälte schien ihm nie etwas anhaben zu können. Es war, als spüre er sie nicht. Quentin dagegen fror ständig, als sei er in seinem eigenen, persönlichen Winter gefangen.
    James sang, zu einer Melodie irgendwo zwischen dem Weihnachtslied »Good King Wenceslas« und dem Kinderlied
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