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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Prolog

    Das Theater, so habe ich einmal gelesen, hält der Gesellschaft einen Spiegel vor.

    Ich räusperte mich. Meine Stimme klang rau, die Kehle fühlte sich eng und trocken an. Sollte ich schon nach dem ersten Satz zum Wasserglas greifen?
    Da gibt es reiche Säcke und arme Schlucker, Wichtige und Unwichtige, Pechvögel und Glückspilze. Die einen treten, die anderen werden getreten.

    Immer noch rau. Sätze wie Schmirgelpapier. Was andererseits etwas für sich hatte. So ein Reibeisensound ließ jedes Wort bedeutungsschwanger klingen, fast gefährlich: Da kommt noch was, Leute. Nehmt euch in Acht! Wem die Geschichte dermaßen auf die Stimmbänder schlägt, der hat was erlebt, ihr werdet schon sehen.
    Ob meine Zuhörer dies ebenso empfanden? Zumindest waren sie still, mucksmäuschenstill. Vielleicht hingen sie sogar an meinen Lippen. Alles erlaubt, solange sie meine Unsicherheit nicht bemerkten. Es war schließlich meine erste Lesung. Ich hangelte mich von Satz zu Satz, schaute ab und zu hoch, bekam Blickkontakt, richtete die Augen wieder auf den Text. Positiv denken, Max: Gut, dass die Kehle trocken war. Gut, dass ich anders klang als sonst. Und gut vor allem, dass mein Freund Marc Covet sich als Ghostwriter zur Verfügung gestellt hatte. Ich selbst konnte quasseln bis zum Abwinken, aber schreiben? Nicht eine gescheite Zeile.
    Ich ließ meine Hauptperson   –   also mich   –   gerade über den Heidelberger Bergfriedhof stolpern, als ein Handy schrillte. Irritiert blickte ich auf. In der ersten Reihe runzelte die Buchhändlerin ihre Stirn unter der rötlichen Föhnwelle. Zu Beginn der Veranstaltung hatte sie darauf hingewiesen, alle Mobiltelefone auszuschalten. Auch wenn man es mit dem Babysitter zu Hause anders vereinbart haben sollte. Aber frischgebackene Eltern saßen garantiert nicht in der Premierenlesung eines Privatdetektivs.
    Brav hatten die Zuhörer ihre Handys auf »stumm« gestellt. Nur einer war der Bitte der Buchhändlerin nicht nachgekommen. Ich wusste, warum: aus lauter Nervosität.
    »Entschuldigung«, räusperte ich mich, zog mein Handy aus der Hemdtasche und nahm das Gespräch an. »Max Koller?«
    Stille im Publikum. Cool, dachten sie wahrscheinlich. Voll gut inszeniert.
    »Im Moment schlecht. Wie dringend ist die Sache? Geht es um Leben und Tod?«
    Stille ist gar kein Ausdruck. Während meiner Sprechpausen konnte man eine Stecknadel fallen hören.
    »Gut. Ich rufe Sie in einer Stunde zurück. Sobald ich meine Bücher signiert habe. Und keine Panik da draußen, ich bringe die Sache in Ordnung.«
    Weg mit dem Nervtöter! Ich schaute mich um. Meine Zuhörer hielten kollektiv den Atem an.
    »So ist das in meinem Beruf«, sagte ich achselzuckend. »Manchmal steht es auf Messers Schneide.« Dann las ich weiter.
    Der Mann, der es sich vor mir auf einem dieser Gräber bequem gemacht hatte, war kein Theaterbesucher. Aber er passte hierher. Ein schlecht gekleideter, toter alter Mann.

    Jetzt war ich mir sicher: Sie hingen an meinen Lippen.

     

     

     

     

    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

1

    Der Anrufer hieß Michael Deininger, und mit leicht mundartlicher Einfärbung dirigierte er mich zum Technologiepark im Neuenheimer Feld. Von der Buchhandlung aus brauchte ich keine zehn Minuten. Allerdings fuhr ich rasch, denn es war kalt und feucht geworden. Überhaupt präsentierte sich der Abend von seiner novembertrübsten Seite: Unter den Straßenlampen hing ein müder Schein, der Himmel war eine schwarze Decke aus Filz. Auf dem Unicampus linkerhand zeigten lichtgesprenkelte Fassaden an, wo noch gearbeitet wurde oder wenigstens so getan als ob.
    Der Technologiepark lag am nördlichen Ende des Campus: dort, wo die Berliner Straße einen Bogen nach Handschuhsheim beschreibt. Eine Handvoll Riesenlegosteine wuchs vor mir aus der Dunkelheit. Übergroß klebten die Buchstaben T und P an einer der Gebäudefronten, und das musste auch sein, denn bei aller Technologie war von einem Park nichts zu entdecken. Ich wartete eine vorüberrasselnde Tram ab, bevor ich die Straße überquerte. Im Rücken eines der Gebäude, die an die Handschuhsheimer Felder grenzten, standen mehrere Einsatzwagen der Feuerwehr, Blaulicht zuckte durch die Nacht. Ein paar Schaulustige hatten sich eingefunden, Bewohner der nahen Studentenheime wahrscheinlich oder Angestellte, die sich zu später Stunde in den Büros und Labors herumtrieben.
    Deininger musste Ausschau nach mir gehalten haben.
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