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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
Autoren: Lauren Oliver
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wir jeden Moment von einer Welle davongetragen. Als ich ihn wieder meinen Namen rufen höre, klingt es schon näher und ich stelle mir vor, wie er mein Gesicht in die Hände nimmt und flüstert: Sam .
    Da schreit jemand. Ich reiße die Augen auf und mein Herz schlägt hoch, als ich an Juliet denke. Aber dann höre ich mehrere Stimmen nacheinander rufen – noch weit weg, ein Durcheinander aus Geräuschen – und ich könnte schwören, dass ich Lindsays Stimme heraushöre. Aber das ist lächerlich. Ich bilde mir was ein und verschwende nur meine Zeit.
    Ich gehe weiter auf die Straße zu. Beim Näherkommen höre ich Fahrzeuglärm und das Rauschen von Rädern auf dem Asphalt, was beides klingt wie Wellen am Strand.
    Als ich Juliet entdecke, steht sie völlig durchnässt da, die Kleider kleben ihr am Körper, die Arme schweben locker an ihrer Seite, als würden ihr weder der Regen noch die Kälte irgendetwas ausmachen.
    Â»Juliet!«
    Jetzt hört sie mich. Sie dreht ruckartig den Kopf, als würde sie von irgendwoher zurück zur Erde gerufen. Ich laufe auf sie zu und höre das leise Grollen eines sich nähernden Lastwagens – der viel zu schnell fährt  – hinter mir. Als ich an Tempo zulege und mit den Armen rotiere, um auf dem Eis nicht hinzufallen, macht sie schnell einen Schritt zurück und ihr Gesicht wird lebendig, als sie mich sieht, strahlt Zorn aus und Angst und dieses andere. Verwunderung.
    Der Motor ist jetzt lauter, ein stetiges Brummen, und der Fahrer drückt auf die Hupe. Der Krach ist ohrenbetäubend, er donnert und wummert um uns herum, erfüllt die Luft mit Lärm. Aber Julietrührt sich nicht. Sie steht einfach da und starrt mich an, schüttelt ein wenig den Kopf, als wären wir alte Freundinnen, die sich zufällig an einem beliebigen Flughafen irgendwo in Europa begegnen. Was für ein Zufall, dich hier zu treffen … Ist das Leben nicht komisch? Die Welt ist ein Dorf.
    Als der Lastwagen immer noch hupend vorbeirast, überwinde ich die letzten paar Meter zwischen uns. Ich packe sie an den Schultern und sie stolpert ein paar Schritte zurück in den Wald. Mein Schwung reißt sie beinahe um. Das Geräusch der Hupe ebbt ab und die Rücklichter verschwinden in der Dunkelheit.
    Â»Gott sei Dank«, sage ich außer Atem. Meine Arme zittern.
    Â»Was machst du denn da?« Sie scheint wieder zu sich zu kommen und versucht sich von mir loszumachen. »Folgst du mir etwa?«
    Â»Ich dachte, du wolltest …« Ich mache eine Kopfbewegung zur Straße hin und verspüre plötzlich den Drang, sie zu umarmen. Sie lebt und fühlt sich fest und wirklich unter meinen Händen an. »Ich dachte, ich würde es nicht rechtzeitig schaffen.«
    Sie hört auf, gegen mich anzukämpfen, und sieht mich einen langen Moment an. Auf der Straße sind gerade keine Autos und in der Stille höre ich es klar und deutlich: »Samantha Emily Kingston!« Es kommt links von mir aus dem Wald und es gibt nur einen Menschen auf der Welt, der mich bei meinem vollen Namen nennt. Lindsay Edgecombe.
    Im selben Augenblick erklingen die anderen Stimmen wie ein Chor aus Vögeln, die gleichzeitig vom Boden auffliegen, und übertönen sich gegenseitig. »Sam! Sam! Sam!« Kent, Ally und Elody kommen alle durch den Wald auf uns zu.
    Â»Was ist los?« Juliet sieht jetzt wirklich ängstlich aus. Ich bin so verwirrt, dass ich meinen Griff um ihre Schultern lockere und sie sichmir entwindet. »Warum bist du mir gefolgt? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
    Â»Juliet.« Ich hebe die Hände in einer friedlichen Geste. »Ich will nur mit dir reden.«
    Â»Ich habe dir nichts zu sagen.« Sie wendet sich von mir ab und stakst zurück zur Straße.
    Ich folge ihr, plötzlich ganz ruhig. Die Welt um mich herum wird schärfer und immer deutlicher, und jedes Mal, wenn ich meinen Namen durch den Wald hallen höre, klingt es näher und näher, und ich denke: Es tut mir leid. Aber das ist das Richtige. So muss es sein.
    So, wie es die ganze Zeit hätte sein sollen.
    Â»Du musst das nicht tun, Juliet«, sage ich leise zu ihr. »Du weißt, dass das nicht der richtige Weg ist.«
    Â»Du weißt nicht, was ich zu tun habe«, flüstert sie heftig zurück. »Du hast keine Ahnung. Du könntest es nie verstehen.« Sie starrt auf die Straße. Ihre
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