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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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R ayan legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Mastspitze empor. Das Gesicht des Freiseglers wirkte blaß und kränklich. Seine Augen waren gerötet und müde; mit tiefen, blauschwarzen Ringen unterlegt und eingefallen, was seinem Aussehen etwas von einer haarlosen fetten Eule verlieh. Die Haut glänzte, wo sie zum Schutz gegen Kälte und Wind mit Fischöl eingerieben war, und seine Bewegungen hatten viel von ihrer Behäbigkeit verloren und waren jetzt unkontrolliert und fahrig; nervös und von der hektischen Art eines Menschen, der am Rande des körperlichen Zusammenbruches stand und sich nur noch mit äußerster Anstrengung auf den Beinen hielt. Er hatte in den vergangenen drei Nächten kaum geschlafen, und die unzähligen Stunden, die er ununterbrochen an Deck gewesen war, begannen ihren Tribut zu fordern. Sein linkes Auge zuckte immer wieder, gleichermaßen nervös wie geblendet vom grellen Licht der Sonne; einer Sonne, die übergroß und strahlend im Zenit stand und Meer und Himmel mit einer Kaskade gelbroter Helligkeit übergoß, als wolle sie der grimmigen Kälte und dem Heulen des Eissturmes Hohn sprechen.
    »Nun?«
    Skar deutete nach Westen und sah den Freisegler fragend an.
    Rayan drehte sich schwerfällig um. Sein linkes Augenlid flackerte noch immer nervös, und unter dem wulstigen Fett seines Doppelkinnes zuckte ein Nerv.
    Für einen Moment spiegelte sich das rote Licht der Sonne in seinen Pupillen, was ihm zusammen mit seiner unnatürlich blassen Haut beinahe das Aussehen eines Albinos verlieh. »Nichts«, murmelte er. »Nichts Neues, jedenfalls. Er kommt näher.« Er seufzte, sah noch einmal zu der dickvermummten Gestalt im Mastkorb hinauf und hob die Schultern; eine leere Geste ohne wirkliche Bedeutung, die aber mehr als alle Worte seine Hilflosigkeit ausdrückte.
    Skar sah ihn einen Moment lang scharf an, beließ es aber ebenfalls bei einem Achselzucken und fuhr herum, um mit zwei, drei schnellen Schritten zur Reling hinüberzugehen. Seine Bewegungen wirkten steif und ungelenk, als lähme die Kälte seine Muskeln, so daß sie ihm nur noch widerwillig gehorchten. Die zernarbten Planken ächzten unter seinen Füßen, als könnten sie sein Gewicht kaum mehr verkraften und wären müde geworden wie die Männer, die sie tragen mußten. Das Schiff hob und senkte sich in sanftem, unablässigem Auf und Ab, aber selbst diese Bewegung erschien Skar träge und mühsam, und das Knarren, Quietschen und Stöhnen der Takelage schien einen bizarren Gegentakt zum Heulen des Sturmes zu schlagen.
    Skar legte erschöpft die Hände auf die Reling, schloß die Augen und gab sich für die Dauer eines Atemzuges ganz der eisigen Kälte und den wütenden Hieben des Windes hin. Der Sturm riß Wasser in gischtenden Schwaden von der Meeresoberfläche empor und schleuderte es gegen das Schiff. Die nadelspitzen Tropfen bissen wie winzige scharfe Zähne in seine Haut, und der Hauch des Salzwassers vermischte sich mit der Kälte und dem fauligen Geruch, der aus der Bilge heraufstieg, zu einem seltsamen, nicht einmal unbedingt unangenehmen Aroma.
    Hier, nur wenige Fuß über dem schäumenden Meer, spürte man die Kälte besonders schmerzhaft. Skar konnte fühlen, wie sie aus dem vereisten Holz in seine Fingerspitzen kroch, langsam in seinen Armen emporstieg und sich wie ein klammer, lähmender Mantel über seinen ganzen Körper ausbreitete. Die Luft schmeckte nach Metall und brannte bei jedem Atemzug in seiner Kehle, aber der Schmerz und die Kälte vertrieben wenigstens für einen Moment die quälenden Gedanken aus seinem Schädel und schufen eine wohltuende Leere.
    Die SHAROKAAN bebte, als eine besonders mächtige Woge heranrollte und sich brüllend an ihrer Flanke brach.
    Der Seegang war nur scheinbar gleichmäßig. Skar hatte Zeit genug gehabt, ihn zu studieren: Jede zehnte oder zwölfte Welle war größer als die anderen, eine brüllende Wand aus schäumendem graugrünem Wasser, als müsse das Meer jedesmal Atem schöpfen, um zu einem besonders wütenden Hieb gegen den frechen Eindringling auszuholen, der es gewagt hatte, so weit in sein Reich einzudringen. Für einen Moment krängte das Schiff über; eisiges Wasser schwappte auf das Deck und schlug mit einer Million winziger schäumender Krallen nach Skars Beinen, so daß er sich unwillkürlich fester an die Reling klammerte. Das bewahrte ihn zwar davor, über Bord gespült zu werden, würde ihm aber nichts nützen, wenn die SHAROKAAN wirklich kenterte. Ein Sturz in das
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