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Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt

Titel: Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
Autoren: Peter Robinson
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* PROLOG
     
    Als sie zu bluten begann, wurde sie in den Käfig gesperrt. Tom war schon seit drei Tagen drin. Er weinte nicht mehr, aber er zitterte. Es war Februar, der Keller war nicht geheizt, und beide waren nackt. Zu essen würde es auch nichts geben, das wusste sie. Erst dann wieder, wenn sie so viel Hunger hatte, dass es sich anfühlte, als würde sie von innen aufgefressen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in den Käfig gesperrt wurde, aber diesmal war es etwas anderes. Früher wurde sie reingesteckt, weil sie etwas falsch gemacht oder nicht getan hatte, was von ihr verlangt wurde. Jetzt gab es einen anderen Grund: Sie hatte sich verändert, und das machte ihr große Angst.
      Sobald die Tür oben an der Treppe verschlossen wurde, hüllte die Dunkelheit sie ein wie ein Pelz. Die Dunkelheit strich ihr über die Haut, schmiegte sich an ihre Beine wie eine Katze. Sie begann zu zittern. Sie hasste den Käfig mehr als alles andere, mehr als die Schläge, mehr als die Demütigungen. Aber sie würde nicht weinen. Sie weinte nie. Das konnte sie nicht. Der Gestank war unerträglich; es gab keine Toilette, nur einen Eimer in der Ecke, der erst geleert wurde, wenn sie herausgelassen wurden. Und wer wusste, wie lange das noch dauern würde.
      Noch schlimmer als der Gestank waren die leise scharrenden Geräusche, die begannen kurz nachdem sie eingeschlossen worden waren. Gleich würde es anfangen, kleine Füße würden über ihre Beine oder ihren Bauch huschen, sobald sie wagte, sich hinzulegen. Beim ersten Mal hatte sie versucht, in Bewegung zu bleiben und Krach zu machen, um sich die Tiere vom Hals zu halten. Aber irgendwann war sie müde geworden und eingeschlafen, irgendwann war ihr egal gewesen, wie viele es waren und was sie machten. Die Bewegungen und das Gewicht verrieten ihr auch im Dunkeln, ob es Ratten oder Mäuse waren. Die Ratten waren schlimmer. Eine hatte sie sogar mal gebissen.
      Sie versuchte Tom zu trösten. Sie nahm ihn in den Arm, damit ihnen beiden ein wenig wärmer wurde. Um ehrlich zu sein, hätte sie selbst ein bisschen Trost gebrauchen können, aber es war niemand da, der ihn hätte spenden können.
      Mäuse huschten ihr über die Füße. Hin und wieder ruckte sie mit dem Bein, und quiekend prallte eine Maus gegen die Wand. Oben wurde laute Musik gespielt, der Bass brachte die Käfigstangen zum Vibrieren.
      Sie schloss die Augen und versuchte, tief in sich eine Zuflucht zu finden, einen Ort, an dem alles warm und golden war, an dem sich das dunkelblaue Meer am Strand brach, das Wasser warm war und angenehm wie Sonnenlicht. Aber es gelang ihr nicht. Sie konnte den Sandstrand und das blaue Meer, den Garten voll bunter Blumen, den kühlen grünen Sommerwald nicht finden. Wenn sie die Augen schloss, gab es nur rot gestreifte Dunkelheit, fernes Gemurmel, Schreie und eine entsetzliche Angst.
      Immer wieder nickte sie ein, die Mäuse und Ratten beachtete sie nicht mehr. Sie wusste nicht, wie lange sie unten gewesen war, als es oben laut wurde. Ein anderer Lärm. Die Musik war längst aus, es war ganz still im Keller, abgesehen vom Gescharre und Toms Atem. Sie meinte, draußen ein Auto halten zu hören. Stimmen. Noch ein Auto. Dann ging jemand oben durchs Zimmer. Fluchte.
      Plötzlich war die Hölle los. Es klang, als würde ein Baumstamm gegen die Haustür gerammt, dann gab es ein knirschendes Geräusch, gefolgt von einem lauten Knall. Die Tür hatte nachgegeben. Tom wachte auf und wimmerte in ihren Armen. Sie hörte Geschrei und Getrampel, als liefen oben viele Erwachsene herum. Nach einer Ewigkeit wurde das Schloss der Kellertür aufgestemmt. Ein bisschen Licht fiel herein. Unten war keine Lampe. Dann stachen die Lichtkegel greller Taschenlampen ins Dunkel, kamen näher, so nah, dass sie sie blendeten. Sie hielt sich die Augen zu. Der Lichtstrahl blieb auf ihr ruhen, und eine seltsame Stimme rief: »Du meine Güte! Ach, du meine Güte!«
     
     

* 1
     
    Maggie Forrest hatte einen leichten Schlaf und wunderte sich deshalb nicht, als sie eines Tages Anfang Mai um kurz vor vier Uhr morgens von Stimmen geweckt wurde, obwohl sie sich vor dem Schlafengehen überzeugt hatte, dass alle Fenster im Haus fest verschlossen waren.
      Wäre sie nicht von den Stimmen wach geworden, hätte etwas anderes sie geweckt: das Zuschlagen einer Wagentür, wenn jemand früh zur Arbeit musste, der erste Zug, der über die Brücke ratterte, der bellende Nachbarshund, altes Holz, das irgendwo im Haus
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