Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)
Autoren: Kathrin Aehnlich
Vom Netzwerk:
um diesen Schritt zu gehen. Und nun war sie am Ende ihrer Scheidungsreise gestrandet wie der Wal. Gleich würden Helfer kommen und sie mit Wasser übergießen. Wenn der Wind weiter zunahm, würde sie samt Koffer und Flughafengebäude in die Luft fliegen. Wenigstens das wäre spektakulär in ihrem Leben.
    Roswitha fühlte, dass sie beobachtet wurde. Ein kleines Mädchen sah sie unentwegt an und flüsterte dann mit seiner Mutter, der das Ganze sichtlich peinlich war. Es entstand ein langes Schweigen. Schließlich überwand sich die Frau und sagte: »Meine Tochter möchte wissen, ob das mit Ihrem Gesicht ein Halloweenkostüm ist?«
    Roswitha stutzte, doch dann begriff sie. Roswitha lachte, das Mädchen lachte, die Frau lachte, alle Umsitzenden und Umliegenden lachten. Das Flughafengebäude bebte vom Lachen. Oder war es der Sturm?
    Roswitha war die Halloweenqueen. Was konnte ihr da ein Hurrikan noch anhaben?
    Die Fernsehbilder am anderen Morgen waren schrecklich. Staten Island war verwüstet, in Rockaway hatte der Sturm eine ganze Siedlung weggeweht, und am East River war ein Elektrizitätswerk durch die Flutwelle zerstört worden. Roswitha dachte an die Bewohner vom »Shelter Park House« und machte sich Sorgen.
    Über die Lautsprecher kam die Durchsage, dass sich die Fluggäste einen Verpflegungsbeutel am Schalter ihrer jeweiligen Airline abholen könnten. Sofort sprangen alle auf, ließen ihr Gepäck unbeaufsichtigt zurück und rannten zum Schalter. Roswitha dachte, dass jetzt die Chance für das Bombeneinsatzkommando gekommen war, die Koffer zu sprengen. Sie hatte keineLust auf Drängelei und blieb auf ihrer altersgerechten Klapp liege sitzen.
    »Wie die Lemminge!«, sagte ein Mann. Er kauerte sich neben ihre Liege und reichte ihr einen Pappbecher voll Kaffee.
    Sie stutzte und sah ihn an. Der Mann hatte ein schmales Gesicht, die Haare waren, den tiefen Geheimratsecken geschuldet, kurz geschnitten. Er trug eine Brille mit schwarzem Rand. Der linke Bügel war mit Heftpflaster an den Rahmen geklebt.
    Roswitha brauchte einige Zeit, bis sie ihre Sprache wiederfand.
    »Das war aber knapp«, sagte sie.
    Vor dem Flughafengebäude wartete der Cowboy mit dem Sargauto.
    Roswitha bemerkte die mitleidigen Blicke der Umstehenden, als sie in das Auto stieg. Wahrscheinlich dachten alle, sie hätte während der vergangenen Nacht einen Angehörigen verloren. Es gab nur eine einzige befahrbare Brücke zurück in die Stadt. Auf der ganzen Südspitze Manhattans war Strom ausgefallen und damit auch alle Heizungspumpen. Die Subwaytunnel, die in Wassernähe lagen, waren geflutet. Doch im »Shelter Park House« herrschte Festtagsstimmung. Auf den Gasherden in der Küche dampfte und brodelte es, im Hof stand der Philosoph am Holzkohlegrill und briet Steaks. Im Bühnenraum deckten die Queen und die Zarin eine große Tafel ein. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen!
    Die Hausbewohner hatten den Rat des Bürgermeisters befolgt und sich mit Lebensmitteln eingedeckt, und nun war der Strom ausgefallen und die Kühlschränke tauten ab.
    Alle waren eingeladen: die Nachbarn, die Obdachlosen, Passanten die vorüberkamen. Doc Snyder und der Cowboy trugendas Bett von Leonard in den Theatersaal. Die Schale mit dem vermeintlichen Woodstockgras stand als Schmuck auf dem Tisch. Überall brannten Kerzen, und zur Feier des Tages gab es Wein. An der einen Stirnseite saßen die Königin und Leonard. An der anderen Mick mit seiner geklebten Brille und Roswitha mit ihrem blauen Auge. Sie sahen aus wie nach einer Prügelei. Und Mick sah Roswitha an und sagte: »Da bist du ja noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.«
    Nach dem Essen gingen sie hinauf aufs Dach. Der Wind hatte die Holzkiste davongetragen. Mick und Roswitha setzen sich auf die Türschwelle. Der Himmel war immer noch wolkenverhangen.
    »Wo warst du die ganze Zeit?«, fragte Roswitha.
    »Wäre das nicht meine Frage? Ich musste unser Treffen vorbereiten.«
    »Du hast von Anfang an gewusst, dass ich da bin?«
    »Kann man so sagen.«
    »Und die anderen? Malenga, der Cowboy, Doc Snyder?
    »Haben mich auf dem Laufenden gehalten. Nette Freunde, oder?«
    »Und wenn ich zurückgeflogen wäre?«
    »Wer rechnet denn mit einem Hurrikan?«
    »Was musstest du denn so lange vorbereiten?«
    »Ein Konzert für dich in Woodstock! Ich hätte gern Etta James gehabt, aber die ist im Januar gestorben.«
    »Kleiner ging’s nicht?«
    »Niemals!«
    »Was machst du in Woodstock?«
    »Arbeiten!«
    »Im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher