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Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)
Autoren: Kathrin Aehnlich
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während auf der anderen Seite Sprayer ihre Bilder malten. Oskar freute sich über die bunte Mauer. Und plötzlich war da die Musik, leise Celloklänge. Direkt vor einem großen Mickey Mouse Graffito spielte ein Mann mit grauen Haaren und silberner Brille Cello. Die Noten gingen in Zweierreihen an der Mauer entlang, dann sahen sie eine Wiese und begannen zu tanzen. Auf einem Campinghocker saß Mstislaw Rostropowitsch und spielte die Sarabande aus der ersten Cellosuite von Johann Sebastian Bach. Prager Frühling im Berliner Herbst. Am Ende stand der Musiker auf, verbeugte sich vor seinen Zuschauern und sagte: »Das ist von Herz!«
    Nach ihrer Rückkehr aus Berlin nahm Wladimir sein Begrüßungsgeld und bestach, mithilfe der Ärztinmutter aus der Kinderkrippe, eine Krankenschwester, um einen sofortigen Termin für eine Gehirntomografie zu bekommen.
    Die Untersuchungen ergaben weder einen Hinweis auf einen Hirntumor, noch wiesen sie auf eine Veränderung der Großhirnrinde hin. Es blieb mysteriös. Wladimir beschwor unter Tränen, dass er noch niemals zuvor in einer derartigen Röhre gelegen habe. Nach seiner Beschreibung war zu vermuten, dass er damals einfach nur geröntgt worden war.
    »Change is gonna come, oh yes it will!« Mit einem lang gezogenen Ton beendete der »Prince of Harlem« den Titel.
    Das Publikum im Veteranenklub bejubelte sich selbst.
    »Was ist jetzt eigentlich mit der Adresse?«, fragte Roswitha.
    Doch da kam schon der Manager und brachte einen Zettel.
    »Bethel?«, fragte Roswitha, »wo ist das denn«
    Malenga rollte mit den Augen. »Wo soll’s schon sein? In Woodstock.«

10
    DER COWBOY HATTE SICH das Lieferauto vom Besitzer der Sargtischlerei geborgt. Die Aufschrift und Zeichnungen auf den Seitenwänden gaben eindeutig Auskunft über die Bestimmung des Fahrzeugs: »Connys Casket Company«. Das Fahrzeug besaß einen großen Laderaum und drei Sitze in der Fahrerkabine. Sie überlegten, Leonard mitzunehmen, aber im Sitzen würde die lange Fahrt für ihn zu anstrengend werden. Die Variante, ihn mit seinem Bettzeug in einen offenen Sarg zu legen, war zwar verlockend, aber schien doch etwas pietätlos. Leonard selbst wäre einverstanden gewesen. Am Ende musste er jedoch auf eine Mitfahrt verzichten, da eine einzelne Sarghälfte nicht ausreichend sicher auf der Ladefläche zu fixieren war. Der Wind hatte weiter aufgefrischt, sodass der Cowboy auf freien Strecken Mühe hatte, das Auto auf der Straße gerade zu halten. Ein Hurrikan näherte sich der Ostküste, und täglich wurde neu berechnet, wo und wann er auf Land treffen würde. Die Prognose fiel genau auf Roswithas Abflugtag.
    Der Cowboy, Doc Snyder und Roswitha fuhren am Hudsonufer entlang in Richtung Woodstock. Den Straßenrand säumten hell gestrichene Holzhäuser mit verzierten Veranden, auf denen Korbmöbel und Blumenkästen standen. Über die andere Uferseite zogen sich bunt gefärbte Wälder. In der Ferne erhob sich eine Bergkette. Doch die Mittelgebirgsbeschaulichkeit wurde durch das Wetter getrübt. Es hatte zu regnen begonnen, und derWind peitschte die Regentropfen gegen die Windschutzscheibe. Sie fuhren immer langsamer, da die Scheibenwischer der Wassermenge nicht gewachsen waren. Als der Regen noch stärker wurde, folgten sie dem Hinweisschild zu einer Bar. Sie parkten das Auto direkt vor dem Eingang, waren aber nach den wenigen Metern bis zur Tür völlig durchnässt.
    Roswitha musste sich erst an das Halbdunkel gewöhnen. Auf dem Linoleum waren die Wege der Gäste zu sehen. Eine helle Spur führte von der Eingangstür zum Kühlschrank und von dort zum Tresen. Es gab eine dünnere Linie zur Toilette. Auch um den Billardtisch zog sich ein heller Kreis.
    Roswitha folgte der breiten hellen Spur, holte sich eine Cola aus dem Kühlschrank und bezahlte am Tresen. Dahinter stand ein älteres Ehepaar. Mürrisch nahm die Frau das Geld in Empfang. Der Mann lächelte mit verrutschtem Gebiss. An die Holzwand hinter dem Tresen waren mit Reißzwecken Pappteller gepinnt, auf denen mit krakliger Schrift die Speisen standen. Angebot des Tages war »Corned Beef Rubens« und ein »Italian Meal«. Doch das Angebot, das Roswitha am meisten faszinierte, waren »Hot Wings«. Es begann bei fünf Stück und endete bei zweihundert. Zweihundert Hot Wings für einhundertundvier Dollar. Roswitha versuchte sich den Gast vorzustellen, der zweihundert Hot Wings bestellen würde.
    Der Gastraum schwankte in seiner Ausstattung zwischen bayrischer Bauernküche und
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