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Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)
Autoren: Kathrin Aehnlich
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doch hinfahren!?«
    »Bei diesem Wetter? Das ist außerhalb der Stadt. Das wird heute nichts mehr.« Malenga öffnete die Tür. »Komm schon, wir machen uns einen schönen Abend. Auf den einen Tag kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
    Sie mussten sich in einem kleinen Vorraum in ein Buch eintragen.
    »Bin ich jetzt Mitglied?«, fragte Roswitha.
    »Klar, in der US Army«, sagte Malenga und lachte wieder ihr tiefes Lachen.
    Roswitha war erleichtert, als sie beim Eintreten vor allem Frauen sah. Keine davon wirkte, als wäre sie jemals in einen Krieg gezogen. Die meisten waren schon im reiferen Alter, trugen aber erstaunlich körperbetonte Kleider mit tiefem Dekolleté. Roswitha fühlte sich in ihren immer noch feuchten Jeans wie ein Hippie auf dem Wiener Opernball.
    Der Klub war nicht sehr groß, ein schmaler, lang gezogener Raum, die Wände zu beiden Seiten mit Spiegeln verkleidet, damit sich die Enge etwas aufhob. Die Bühne befand sich gleich neben der Tür. Zwei Spots strahlten das Emblem der Armeeeinheit an, die Hausherr in diesem Klub war. Es prangte wie ein riesigerSheriffstern an der Wand. Die Dekoration bestand aus kleinen amerikanischen Flaggen, Girlanden aus Stanniolpapier und gerahmten Soldatenporträts. Auf den Tischen lagen rot karierte Decken. Es war eine verwirrende Mischung aus Karnevalsklub und NATO-Hauptquartier.
    Roswitha bestellte sich ein Bier beziehungsweise ein Getränk, das die Amerikaner für Bier hielten. Die Barfrau öffnete die Flasche, steckte eine Serviette in den Flaschenhals und reichte sie über den Tresen.
    »Hier wird aus der Flasche getrunken«, sagte Malenga. »Nur die Cocktails gibt’s im Glas. Manche Stammgäste haben ihr eigenes Glas, dort in der Vitrine hinterm Tresen.«
    In einer beleuchteten Glasvitrine standen, wie Ausstellungsstücke, Gläser in verschiedenen Formen und Größen. Über der Vitrine hingen in verzierten silbernen Rahmen drei Bilder: Barack Obama, Martin Luther King, Michael Jackson. Drei Schutzheilige, die über die Ausgabe der Cocktailgläser wachten.
    Malenga setzte sich an einen Tisch gleich neben der Bühne und bestellte Huhn mit Bohnen. Das Essen wurde auf Plastiktellern serviert, und die Bohnen schmeckten, als wären sie direkt aus der Dose auf den Teller geschüttet worden. Der Manager, ein groß gewachsener Mann in perfekt sitzendem Anzug, kam an ihren Tisch und wünscht ihnen »guten Appetit«, mit einem Ton in der Stimme, als wäre ihnen soeben ein Gourmetmenü serviert worden.
    Es kamen immer neue Gäste, zumeist ältere Ehepaare. Die Frauen waren etwas füllig, bewegten sich aber mit einer selbstverständlichen Eleganz, die Roswitha neidisch machte. Als die Musik einsetzte, war plötzlich so viel Energie im Raum, dass Roswitha Angst bekam, der Veteranenklub könne explodieren.
    Blitzschnell formierten sich die Paare in Zweierreihen und tanzten, einer komplizierten Choreografie folgend, durch den Raum. Nirgendwo war ein falscher Schritt zu sehen, nirgendwo eine falsche Drehung.
    »Das ist der Louisiana Swing«, sagte Malenga. »Damit erhalten sie sich über viele Generationen die Erinnerung an ihre Heimat.«
    Der Manager kam und forderte Roswitha auf mitzutanzen.
    »Walk forward on right«, »Walk forward on left«.
    Da war sie wieder, ihre alte Links-rechts-Schwäche. Entweder sie verstand die Anweisung nicht, oder sie verwechselte die Seite, vom Rhythmusgefühl ganz zu schweigen.
    »Rock forward on right! Rock back on left! Step back on right! Hitch left knee up!«
    Es erinnerte Roswitha ein bisschen an das Kinderspiel »Ein Hut, ein Stock, ein alter Mann, vor, zurück, zur Seite, ran!«.
    Nach zehn Minuten war Roswitha völlig außer Atem und musste sich setzen. Die Veteranen tanzten unermüdlich weiter. Immer wenn Roswitha alte Ehepaare sah, wurde sie traurig. Gemeinsam alt zu werden war auch Bestandteil von »unserer Zukunft« gewesen.
    Das Leben mit Wladimir hatte sich nach dem Klinikaufenthalt verändert. Zwar konnte er wieder lesen, schreiben und sich normal unterhalten, doch er lachte weniger als zuvor und mied die Gesellschaft anderer. Er hatte das Vertrauen in die Menschen verloren. Nur mit Oskar spielte er unbefangen.
    Alle dachten, dass Roswitha jetzt glücklich sein müsste, und gratulierten ihr. Doch das Glück hatte einen doppelten Boden. Natürlich war sie glücklich, dass Wladimir nicht mehr krank warund sie wieder als Familie zusammen lebten. Doch die andere Wahrheit war, wenn man einen Mann so lange gepflegt hatte, fiel es
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