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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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sich wieder. Tess nimmt ihr Gesicht in die Hände und Mum lehnt sich an sie. Die beiden flüstern miteinander, dann schüttelt Mum den Kopf. Sie tätschelt Tess’ Arm, holt tief Luft und geht zum Altar. Sie faltet einen Zettel auseinander und blickt durch ihre Sonnenbrille auf die Trauerversammlung. Tess hat recht. Es sieht wirklich aus, als steckte eine bestimmte Absicht dahinter. Mir wäre lieber, sie würde sie abnehmen.
    Während Mum ihren Blick über die erste Reihe schweifen lässt, rutscht Tess in der Kirchenbank zu mir und fasst mich bei der Hand. Den anderen Arm legt sie um Benjy. Ihre Finger sind eiskalt und sie riecht nach Weihrauch.
    Neben mir regt sich nun auch Dad. Er setzt sich aufrecht hin und beobachtet Mum. Er drückt meine Hand zwischen seinen beiden Händen.
    »Ich glaube nicht, dass sich jemand vorstellen kann, wie es ist, wenn man … hier steht«, beginnt Mum. Sie spricht seltsam abgehackt, macht Pausen, wo keine hingehören. Sie schluckt. Sie dreht den Kopf von einer Seite auf die andere, presst die Lippen aufeinander. Man sieht durch die Brille, wohin ihr Blick gerichtet ist. Sie sieht mich an. Ich möchte, dass sie sich wieder hinsetzt.
    »Die letzten Tage seines Lebens verbrachte Sam mit seiner Familie, seiner Taufpatin und seinem besten Freund, und ich weiß, dass es tröstlich für ihn war, dass er alle, die ihn am meisten geliebt haben, um sich wusste, als er seinen letzten Atemzug tat.«
    Dad gibt einen erstickten Laut von sich, als sie das sagt, und Mum blickt zur Decke. Wir wissen nur zu gut, wie Sam aussah, als sie die künstliche Beatmung eingestellt haben, wie er nach Luft schnappte, obwohl die Ärzte sagten, dies sei nur ein Reflex.
    »Unser großartiger Sohn – Samuel Thomas Dancy – der nach unseren beiden Vätern benannt wurde – Gott hab sie beide selig – war ein fröhlicher und begabter Junge. Er war einer der besten Stürmer der ganzen Schule …«
    »Dancer!«, flüstert jemand laut und vernehmlich in einer der hinteren Bankreihen, wo die Schüler sitzen. Dann Lachen und Zischeln. Wer immer es war, ich finde es toll, dass er sich das getraut hat.
    »Dancer«, wiederholt Mum. Sie lächelt. Die Leute rutschen in ihren Bänken hin und her. »Er liebte Karaoke. Und er hat dabei eine noch größere Show abgezogen als ich – was etwas heißen will.«
    Tess streckt in stillem Beifall die Hände hoch und Mum nickt ihr zu. Allmählich klingt sie wieder wie ein Mensch.
    »Er konnte die schönsten Bilder zeichnen. Wer das Glück hat, eines seiner Bilder zu besitzen, der soll die Hand heben.«
    Mum hebt die Hand langsam, und in der Kapelle wird es unruhig, als sich die Menschen in ihren Sitzen umdrehen, um zu sehen, wer noch eines seiner Bilder besitzt. Ich, Dad, Benjy und Tess haben unsere Arme oben und wir können nicht anders, als uns anzulächeln.
    Hinten ist wieder verhaltenes Lachen zu hören. Wir drehen uns um und sehen, dass fast alle Mädchen aus der Mannschaft die Hände gehoben haben. Einige von ihnen werden rot, andere lachen. Ally Fletcher weint schon wieder.
    »So ist mein Junge«, sagt Mum sehr, sehr leise. Sie scheint sich ihre Worte erst beim Reden zu überlegen.
    »Ich habe oft von Sams erster Freundin geträumt«, sagt sie und blickt Matty an. Ich drehe mich um und sehe, wie Matty Mum anstrahlt und sich dabei die Augen wischt.
    »Ich fragte mich, wer seine Frau werden würde, die Mutter seiner Kinder. Ich fragte mich, ob dieses Mädchen je gut genug für ihn sein könnte, und ich beschloss, dass ich sie für die beste Frau halten würde, wenn sie ihn nur liebte. Ich wusste immer, dass Sam ein guter Vater sein würde, weil er immer so gut zu seiner kleinen Schwester Iris gewesen ist. Und weil er so einen Vater hat.«
    Mum blickt mich an. Sie beißt sich auf die Oberlippe. Dann blickt sie zu Dad. Sie sehen sich einen Moment lang fest in die Augen.
    »Von klein auf hat Iris ihren Bruder verehrt. Sie hat ihn begleitet, wenn er wichtige Abenteuer bestehen musste, und sie hat ihn gegen jedermann, ganz gleich, wie groß, in Schutz genommen, wenn sie dachte, dass man ihrem großen Bruder unrecht getan hätte.«
    Jetzt erzählt sie die Geschichte, wie ich einen viel größeren Jungen gejagt habe, weil der Sam in einer Disco in Butlin auf der Tanzfläche angerempelt hatte. Dad drückt meine Hand. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Die Leute lachen.
    »Die beiden waren manchmal wie Hund und Katze, aber sie hielten trotzdem immer zusammen. Man konnte niemals aus
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