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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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hätte Matty meine angezogen. Mum könnte die Kleider von Tess tragen und umgekehrt. Man könnte fast denken, wir hätten uns alle verkleidet. Bei dem Gedanken muss ich fast lachen, aber dann bin ich wieder traurig, weil ich für uns gerne mehr Zeit gehabt hätte, um alles ein wenig besser vorzubereiten.
    Mum nimmt ihre Sonnenbrille kurz ab. Ihre Augen sind rot, ihre Lider geschwollen. Sie sagt, sie wird die Brille in der Kirche aufsetzen.
    »Die Leute werden sich fragen, was für eine Absicht sich dahinter verbirgt«, sagt Tess.
    »Die können mich mal«, sagt Mum. »Mit der Brille fühle ich mich besser gewappnet.«
    Tess nickt in ihr Glas und gießt Mum nach.
    Es ist schon fast Zeit zu gehen und Dad ist noch immer nicht nach unten gekommen.
    Ich will ihn holen. Er sitzt auf seinem Bett und hat den Kopf in die Hände gestützt. Die Art, wie er mir den Kopf zudreht, erinnert mich an ein Kleinkind oder ein Tier. Ich renne nach unten.
    »Mum. Du musst dich um Dad kümmern.«
    Sie kippt ihren Brandy hinunter und geht die Treppe hinauf.
    Benjy steht schon die ganze Zeit neben dem Herd und wirkt verloren. Tess geht zu ihm und nimmt ihn in den Arm.
    Mums ältere Brüder treffen ein; Onkel Martin und Onkel Tim mit seiner Frau Paula und meinen beiden kleinen Cousins. Sie sind schon seit vier Uhr früh unterwegs und die Kinder streiten sich um irgendetwas. Sie hören einfach nicht auf. Nach ein paar Minuten schreit Tim sie an und schickt sie nach draußen. Sie rennen hinaus, und eine Minute später hören wir sie lachen.
    Tess stellt sinnlose Fragen und Onkel Tim scheint dankbar dafür zu sein. Benjy versucht meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    Mum und Dad kommen herunter. Er tritt als Erster durch die Tür. Er hat seinen Traueranzug an. Und die dazu passende schmale schwarze Krawatte. Mum hat ihre Hand auf seinen Rücken gelegt.
    Als sie ihre Brüder sieht, stößt sie einen fast unheimlichen Laut aus. Sie liegen sich lange in den Armen.
    So unbegreiflich es klingt, aber es ist der Moment, auf den alle gewartet haben: Der Leichenwagen kommt. Es ist halb zehn, die Zeit, in der immer die Schulversammlungen stattfinden. Ein Fremder in einem Anzug steigt aus und wartet neben dem frisch polierten Wagen, in den wir gleich einsteigen werden.
    Hinten im ersten Wagen steht ein glänzender Mahagonisarg, über den ich jetzt lieber nicht nachdenken will. Er ist eingerahmt von Blumen, Karten und Briefen. In der Schule haben sie eine Disco abgehalten, um das Geld für einen Kranz zu sammeln. Sams Spitzname, Dancer, ist mit gelben Chrysanthemen daraufgesteckt. Tess und Benjy und meine Onkel und meine Tante schauen durch das Fenster auf die Gestecke, aber Mum und Dad steigen ohne einen Blick in das Auto.
    Die Zähne des Fremden sind gelb wie Zigarettenfilter, und als er sich herabbeugt, um durch das Fenster mit Mum zu sprechen, starre ich wie gebannt auf seinen Mund. Ich frage mich, wie sie wohl riechen. Die Autos fahren los – die Begräbnisprozession hat begonnen.
    Die Hände auf die Knie gelegt sitzen wir da.
    Eine Frau mit einem Kinderwagen bleibt stehen und beugt respektvoll den Kopf, als wir an ihr vorüberfahren. Mein Herz fliegt ihr entgegen.
    Der Leichenwagen ist innen mit grauem Leder ausgekleidet. Diesen Geruch vergisst man nicht so leicht. Auf der einen Seite neben mir sitzt Mum; sie knetet meine Hand, ihre Ringe drücken sich gegen meine Fingerknochen. Auf der anderen Seite sitzt Dad; er sieht aus, als müsste er sich übergeben. Ich würde am liebsten seine Hand halten.
    Über uns umarmen sich die Bäume – und dann sind wir schon am Krematorium.

Dreiundvierzig
    U nser Wagen rollt auf den mit weißen Steinen gepflasterten Stellplatz, das Geräusch der Reifen ist so unnatürlich laut wie damals, als Mum wegfuhr. Gerade stelle ich mir vor, wie Sam mit den Fingerspitzen über die Steine fährt, da öffnet uns der Mann mit den zigarettengelben Zähnen die Tür. Mum steigt aus, dann ich, dann Dad. Es ist so ungewohnt, dass nur wir drei bei einem Familientreffen sind.
    So gut wie alle meine Bekannten stehen vor der Friedhofskapelle. Matty hat sich auf die Zehenspitzen gestellt, um nach mir Ausschau zu halten. Sie hat einen Strauß weißer Blumen in der Hand, ihr Blick erinnert mich an Mum, und mir fällt ein, dass alle sie geneckt haben, weil sie Sam heiraten wollte.
    Hinter ihr steht Donna und drückt sich ein Taschentuch an die Nase. Halt suchend lehnt sie den Kopf an Jakob. Beide haben eine Hand auf Mattys Schultern
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