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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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Iris«, erklärte sie mir. »Du holst dir nur die Gonorrhöe.«
    Matty schlug ständig irgendwelche Geschlechtskrankheiten im Lexikon nach und brüstete sich mit ihrem angeblichen Wissen.
    In der Mittagspause sahen wir den Jungs beim Fußballspielen zu.
    »Du hast zwei verschiedene Socken an«, sagte Matty zu mir. »Macht dir das nichts aus?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Vielleicht sollte es dir aber was ausmachen.«
    Ich zog meine Schuhe aus und streifte die Socken so weit nach unten, bis es nicht mehr auffiel, dass sie nicht zusammenpassten.
    »Genau das ist dein Problem, Iris«, seufzte sie. »Du glaubst auch noch, dass das die Sache besser macht.«
    Vor Mathe machte ich einen kurzen Abstecher aufs Klo und zog die Socken aus.
    Vor vier Jahren war Matty aus Guildford nach Derby gezogen. Damals hatte sie wuschelige schwarze Haare und eine viel zu große Brille gehabt, die immer rote Abdrücke auf ihrer Nase hinterließ, aber von Schuljahr zu Schuljahr war sie hübscher geworden. Inzwischen hatte sie ihre wirren schwarzen Haare zu langen Wellen gebändigt, die sie gerne betont langsam um den kleinen Finger wickelte. Statt der Brille trug sie Kontaktlinsen, und zu allem Überfluss waren ihre Brüste im letzten halben Jahr von null auf Größe 70B gewachsen. Matty hielt sich für eine richtige Frau.
    »Denk dran, Iris«, sagte sie immer zu mir, »ich habe im September Geburtstag. Eigentlich bin ich fast ein Jahr älter als du. Eigentlich wäre ich schon in der Zehnten.«
    Jeden Tag nach der Schule beobachtete ich die Wohnwagenleute. Dad hatten ihnen gesagt, dass sie hier unerwünscht waren, aber das schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Zu Dads großem Ärger ließen sie sich überhaupt nicht stören und machten einfach weiter wie zuvor. Neben dem Jungen, den Hunden und der rothaarigen Frau waren da noch ein Mann, ein Baby und vier kleine Mädchen.
    Der Junge verbrachte viel Zeit mit seiner Mutter. Er stand ihr im Weg, wenn sie sauber machte, und brachte sie zum Lachen. Manchmal packte sie ihn und wuschelte ihm durch die Haare. Die beiden erinnerten mich daran, wie Mum und Sam früher gewesen waren.
    Im Gegensatz zu Sam war der Junge allerdings richtig nett zu seinen Schwestern. Sie waren alle viel jünger als er, trotzdem spielte er mit ihnen Verstecken und nahm sie auf den Arm, wenn sie weinten. Er würde bestimmt nicht in die Luft gehen, nur weil eine von ihnen seine Socken geborgt hatte oder so.
    Abends saßen sie alle um das Feuer oder im Gras und warteten, bis das Essen, das ihre Mutter im Topf kochte oder ihr Dad im Auto mitgebracht hatte, fertig war. Später am Abend, wenn die Mutter die Kleinen zu Bett gebracht hatte, legte sich der Zigeunerjunge zum Schlafen unter den Wohnwagen, um allein zu sein, was ich unglaublich gut verstehen konnte. Dad schimpfte, wenn er mich dabei erwischte, wie ich sie von seinem Schlafzimmerfenster aus beobachtete.
    »Das ist kein Spaß, Iris«, sagte er, also beobachtete ich sie nur noch dann, wenn er nicht zu Hause war.
    Eines Abends zog ich meine Vorhänge nicht zu, um mich am nächsten Morgen von den ersten Sonnenstrahlen wecken zu lassen. Ich wollte herausfinden, was die Wohnwagenleute früh am Morgen taten. Es war noch nicht einmal sechs Uhr, als ich mich nach oben schlich, vorbei an meinem schlafenden Vater, der den Kopf halb unter dem Kissen vergraben hatte, um zu meinem gewohnten Ausguck auf dem Sessel neben dem Fenster zu klettern. Dad bemerkte mich nicht. Mum war immer diejenige mit dem leichten Schlaf gewesen – allerdings hat sie auch geschnarcht, manchmal sogar so laut, dass sie aus dem Schlaf hochschreckte.
    Der Morgenhimmel schimmerte blass, auf der Wiese leuchteten die Mohnblumen und in den Pappeln gurrten die dicken Tauben. Der Junge war als Erster auf den Beinen. Er sprang die Stufen des Wohnwagens hinunter und tollte mit den Hunden durchs Gras. Hin und wieder hielt er inne und hob einen Ast auf oder zog Zweige aus den Hecken.
    Am Eingang zur Koppel türmte sich ein riesiger Stapel aus Holzscheiten, die Dad und Austin, sein Lehrling, in den vergangenen Monaten gesägt hatten – Brennholz für mindestens ein Jahr. Als der Junge ungefähr auf der Höhe des Stapels war, blieb er stehen. Er warf einen schnellen Blick in Richtung unseres Hauses und ich duckte mich hinter Mums Escobaria-Kaktus. Ich spähte über die violetten Blüten an seiner stacheligen Spitze hinweg und beobachtete, wie der Junge ein paar lange, schmale Holzstücke vom Stapel nahm und zu den
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