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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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seit sie weggegangen war.
    »Sie wollen einfach nur ihre Freiheit, Iris«, sagte sie.
    »Ich weiß«, antwortete ich, obwohl mir der Gedanke bisher noch gar nicht gekommen war.
    Als ich alle Neuigkeiten losgeworden war, erzählte sie mir, dass sich der Transit ganz wacker hielt und dass sie uns jedem ein Geschenk schicken wollte und dass sie schon das halbe Mittelmeer umrundet hatte. Das Wasser sei sauberer als in Kos, Sam und mir würde es bestimmt gefallen.
    »Eines Tages werden wir die Reise gemeinsam machen«, sagte sie. Ich brummte etwas Unverständliches und stellte mir vor, wie sich Dad fühlen würde, wenn wir ihn alleine auf der Silverweed-Farm zurückließen.
    »Sei vorsichtig, versprich mir das«, sagte sie zum Abschied. »Gib ihnen eine Chance, aber sei trotzdem vorsichtig.«
    »Klar«, murmelte ich, aber da hörte ich ihr schon nicht mehr zu. Ich war viel zu aufgeregt.
    Ich brauchte Sam nicht, um einen Plan auszuhecken, und ich wollte mir auch von niemandem vorschreiben lassen, was ich zu tun hatte. Ich war frei, das zu tun, was ich wollte. Morgen würde ich mich auf die Lauer legen und warten, ob der Junge seinen Rucksack nahm und wieder mit den Hunden jenseits des Bachs verschwand.
    Und dann würde ich ihm folgen.

Drei
    I ch hatte vor, mich nicht erst damit aufzuhalten, sie vom Haus aus zu beobachten, sondern gleich zur Koppel zu gehen. Ich wollte es nicht riskieren, Dad noch einmal zu wecken. Dann würde ich über das Nachbargrundstück der Schweinefarm schleichen und die Wohnwagenleute von dort aus beobachten. Wenn der Junge in dieselbe Richtung ging wie sonst auch, konnte ich über die Trittsteine rennen, die Sam und ich im Frühjahr in den Bach gelegt hatten, und ihm so auf den Fersen bleiben.
    Ich war bester Laune und voller Tatendrang, als ich die Klamotten anzog, die ich schon gestern getragen hatte. Mums kurze Sporthose war reif für die Wäsche, aber das brachte ich nicht über mich. Abergläubisch, wie ich war, wollte ich nicht auch noch die letzten Erinnerungen an sie ein für alle Mal wegspülen. Ein fetter Pfotenabdruck von Fiasco zierte die linke Hinterpartie und auf der weißen Kordel war ein oranger Farbfleck. Ich roch daran. Bohnen. Matty würde sicher die Nase rümpfen. Während ich über das Tor der Schweinefarm kletterte, fragte ich mich, was genau chemische Reinigung eigentlich war und ob ich das mal ins Auge fassen sollte.
    Die Schweinefarm war durch einen von Weiden und Erlen gesäumten Graben von der Koppel getrennt. Ich kroch am Graben entlang, bis die Wohnwagen in Sicht kamen. Unterwegs begegnete ich Maud, unserer Katze. Sie hatte die Nase dicht am Boden und die Schultern bewegten sich elegant unter ihrem goldgelbem Fell. Sie sah wild und gefährlich aus. Ich ahmte ihre Bewegungen nach und fragte mich, was demnächst in ihren Krallen den Geist aufgeben würde.
    Stimmen hallten von den Wohnwagen zu mir herüber. Es war seltsam, sie zu hören – so als spräche plötzlich der Kühlschrankmagnet mit mir: Es war etwas, worauf man gar nicht gefasst ist.
    Die Stimme der Mutter war hoch, sie redete ununterbrochen, während sie die Teller in einer Wanne abspülte; leider verstand ich kein einziges Wort. Der Vater schwieg. Er saß gebückt auf einem weißen Plastikstuhl und schnürte seine Stiefel. Den Jungen sah ich nicht. Er war bestimmt noch drin, denn bisher war er nie früher weggegangen.
    Erst als ich mich noch ein Stück voranwagte, begriff ich, dass die Frau sang. Ihre Stimme klang weich und angenehm. Ich sah, dass ihr Haar am Ansatz dunkelrot war und zu den Spitzen hin heller wurde und dass sie jünger war, als ich gedacht hatte – jünger sogar als Mum. Sie hatte grüne Lidstriche aufgetragen; ihre Augen waren groß und an den Winkeln fein nach oben geschwungen. Als sie barfuß zu einer mit Nesseln überwucherten Stelle ging, um dort das Abwaschwasser aus der Wanne zu schütten, sah ich es an ihrem Fußgelenk silbern glitzern. Sie trug einen langen hellen Hausrock, der vorne geschlitzt war, sodass man ihre Schenkel sehen konnte, und obwohl ich ihr Lied nicht kannte, hörte ich doch, dass sie oft falsch sang.
    Das Baby auf ihrem Rücken begann zu weinen. Sie hielt mit ihrer Arbeit inne und sang noch lauter, wiegte sich hin und her und tätschelte den Kinderpopo. Der Mann schien das alles nicht wahrzunehmen, er war völlig mit dem Binden seiner Schuhe beschäftigt. Ich war jetzt nur noch ein paar Meter von ihnen entfernt, zwischen uns lag lediglich der Graben und die große
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