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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
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Wochenenden waren sie manchmal den ganzen Tag lang verschwunden. Ich öffnete das Fenster, aber draußen war es so heiß, dass es keinen Unterschied machte.
    Als sie Dad sahen, standen die beiden Männer auf. Die rothaarige Frau ging fort in Richtung Bach. Sie streckte die Hände nach hinten, die vier Kleinen folgten ihr und hielten sich an ihren Fingern fest.
    »Sie haben Angst«, sagte Sam, und ich wusste nicht genau, ob er das sarkastisch meinte.
    Dad stand jetzt nur noch ein paar Meter von ihnen entfernt.
    »Wenn sie irgendwelchen Mist vorhaben, dann renne ich sofort hin.«
    Ich lachte.
    »Denkst du etwa, ich trau mich nicht?«
    »Ich denke, du solltest das lieber bleiben lassen. Sie würden dich umbringen!«
    Er starrte mich an, plötzlich war er wieder wütend.
    »Sie kämpfen ja gar nicht. Schau, sie reden nur miteinander«, sagte ich.
    Sam ballte die Fäuste, als wollte er jeden Moment losschlagen, und ich dachte wieder einmal, dass sich Jungs manchmal wie Idioten benahmen.
    Während Dad sprach, verschränkte der Vater des Jungen die Arme vor der Brust und schob seine kräftigen Schultern vor. Der Mann hatte einen ziemlichen Bauch und einen mächtigen Brustkorb, sein kariertes Hemd spannte. Ich wünschte mir, Dad würde wieder ins Haus zurückkommen.
    »Glaubst du, sie hören ihm überhaupt zu?«, fragte ich.
    Sam stieß in einer Art Lachen die Luft zwischen den Zähnen hervor. »Glaubst du das etwa?«
    Jetzt sprach der Vater des Jungen. Er ließ die Arme wieder entspannt hängen, als hätte es nur dieses kurzen Muskelspiels bedurft. Er blickte Dad in die Augen und zuckte die Schultern und der Koloss neben ihm machte es ihm nach.
    Dad streckte die Hände aus, und ich konnte förmlich hören, wie er kurz und knapp sagte: »Also gut, ich habe euch eine Chance gegeben.«
    Auf dem Rückweg hielt Dad den Kopf gesenkt und starrte mit zornrotem Gesicht zu Boden. Er schien Selbstgespräche zu führen, denn seine Lippen bewegten sich. Als er uns sah, deutete er mit dem Finger auf uns.
    Wir rannten nach unten.
    Fiasco kam als Erste herein. Schwanzwedelnd und mit geöffnetem Maul lief sie in die Küche. Es sah aus, als würde sie grinsen.
    »Bastarde!«, knurrte Dad.
    »Was ist passiert?«, fragten Sam und ich gleichzeitig.
    Dad nahm das Telefon und wählte.
    Aus dem Hörer kam das Besetzt-Zeichen.
    Ich setzte mich neben Sam auf die Sitzbank, während Dad in den ersten Seiten des Telefonbuchs blätterte. Dann wählte er und knallte gleich darauf den Hörer wieder auf.
    »Himmel, Iris!«, platzte er heraus. »Kannst du ihn nicht still halten?«
    »Wen denn?«
    »Deinen verdammten Fuß.«
    Ich drückte meine Ferse auf den Boden.
    »Habt ihr denn gar nichts zu tun?«, blaffte er uns an.
    Sam erklärte, dass er wegmüsse, und ich rechnete fest damit, dass Dad ihn an seinen Hausarrest erinnern würde, aber er sagte nur: »Na und, worauf wartest du noch?«
    Triumphierend rannte Sam aus dem Haus.
    Den restlichen Nachmittag lag ich im Bett, las in Dads Buch über Libellen und malte Bilder von aufgeschlitzten Windhunden, denen man Klingen an die Pfoten gebunden hatte, und von Wohnwagen, in denen so viele Menschen waren, dass sie mit ihren Armen und Beinen die Fenster zerbrachen. Ich begriff nicht ganz, was so schlimm an der Sache war: Die Koppel wurde doch gar nicht gebraucht, nur hin und wieder wurde dort Holz abgeladen oder welches von dort geholt. Wozu der Stress?
    Dad klopfte ein paar Mal, um sicherzugehen, dass mit mir alles in Ordnung war. Auf diese Weise würde er Mum allerdings nicht gerade beweisen, dass er wusste, wie er mit uns umgehen sollte.
    Er konnte rufen, so viel er wollte, ich rührte mich nicht. Ich wollte, dass er sich schlecht fühlte. Ständig schnauzte er mich an. Einkäufe hatte er noch nie erledigt. Und seit Wochen hatten wir keinen Ausflug mehr gemeinsam unternommen.
    Aber er hatte mit Käse und gerösteten Zwiebeln überbackene Folienkartoffeln für mich in den Ofen gestellt, und als es im Haus ruhig war, schlich ich mich in die Küche und aß sie auf. Dann schlief ich bald ein und träumte, dass mich ein Fremder mit einem Golfball in einem Socken traktiert.
    Es war montagabends. Wie üblich rief Mum an und wie üblich waren Sam und Dad wie vom Erdboden verschluckt. Diesmal hatte ich wenigstens etwas zu erzählen. Ich berichtete ihr von der Ankunft der Wohnwagenleute und wie Sam und Dad darauf reagiert hatten und was ich in der Schule über die Fremden gehört hatte. Es war unser längstes Gespräch,
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