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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit
Autoren: Johano Strasser
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Einführung ins Thema
    Wer Sicherheit, immer umfassendere, immer perfektere Sicherheit als Ziel theoretischer und praktischer Bemühungen in Frage stellt, noch dazu in einer Zeit großer und – vermeintlich oder tatsächlich – wachsender sozialer, ökologischer, militärischer und terroristischer Bedrohungen, begibt sich aufs Glatteis. Ein tückisches Glatteis besonders für den, der sich mit dem abgenutzten Schuhwerk darauf wagt, mit dem wir späten Kinder der Aufklärung uns fortbewegen müssen.
     
    Sicherheit, schreibt Andrea Schrimm-Heinz, sei zum »zentralen Wertbegriff der modernen Menschen« geworden. 1 Eine geradezu krankhafte Präokkupation mit dem Thema Sicherheit bescheinigte schon Ludwig Marcuse seiner Zeit in einem Essay aus den vierziger Jahren: »Sicherheit ist die Besessenheit dieser Zeit.« 2 In der Tat gehört Sicherheit seit Langem zu den wertbeständigsten Münzen im politischen Geschäft. Kaum ein Begriff spielt in Parteiprogrammen, in Wahl- und Parlamentsreden, in politischen Lageberichten, Umfragen, Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehkommentaren eine derart zentrale Rolle. Kaum ein Begriff eignet sich auch so gut dazu, Menschen zu manipulieren und Andersdenkende zu diskriminieren: Keine Experimente! Sicherheitsrisiko! Kaum ein Begriff ist so bequem zur Hand, wenn es gilt, von den Menschen Opfer einzufordern. Wenn es um unsere Sicherheit geht, ist keine Summe zu fantastisch; wenn es gilt, Gefahren für unsere Sicherheit abzuwehren, opfern wir Freiheiten gleich dutzendweise. Das haben die Reaktionen auf die Terrorakte vom 11. September 2001 wieder einmal schlagend deutlich gemacht. Das Sicherheitsargument ist ein Passepartout, mit
dem die Exekutive noch jede Tür zu öffnen versteht, die ihr laut Verfassung (und nach den gängigen Regeln der Moral) verschlossen sein sollte.
     
    Nie in ihrer Geschichte haben die Menschen gewaltigere Anstrengungen unternommen, um sich gegen Krankheit, Not, Unfälle, Diebstahl, Gewalt, Terror, Subversion und kriegerische Aggression abzusichern. Polizei und Verfassungsschutz, die Organe der Inlands- und Auslandsaufklärung sind mit modernstem Gerät und subtilen Observations- und Fahndungstechniken dabei, sich zum allgegenwärtigen Großen Bruder zu mausern. Spezialtrupps zur Terroristenbekämpfung stehen Tag und Nacht in Bereitschaft, Objekt- und Personenschutz rund um die Uhr sind zur Routine geworden. Gewaltige Ausgaben für die militärische Verteidigung sollen uns vor Angriffen von außen bewahren. Unser Rechtssystem lässt kaum etwas ungeregelt. Wo unsere Juristen eine Rechtslücke erspähen, erfasst sie der horror vacui : Erst wenn sie ausgefüllt ist, können sie wieder ruhig schlafen.
     
    Eine blühende und expandierende Sicherheitsindustrie ergänzt das staatliche Angebot. Mit dem Verkauf von Sicherheit lassen sich glänzende Geschäfte machen, gerade in Krisenzeiten. Die Versicherungspaläste zeugen davon – ebenso die Bilanzen der Hersteller von Sicherheitstechnik. Safes, Alarmanlagen, Überwachungskameras, Gaspistolen und andere Waffen finden reißenden Absatz. Wer es sich leisten kann, sichert sein Haus gegen Einbruch mit biometrischen Zugangssystemen, mit Panzerriegeln vor Türen und Fenstern, mit Bewegungsmeldern im Garten und auf der Terrasse. Wer sich zu den Spitzen in Staat und Gesellschaft zählt, fährt im gepanzerten Spezialauto. Jedes größere Unternehmen hat einen eigenen Werkschutz. Sicherheitsberater, Privatdetektive, Wachdienste und Bodyguards bieten in Zeitungsannoncen ihre Dienste an. Global operierende Unternehmen sichern
Großevents wie die Fußball-WM, die Olympischen Spiele oder den European Song Contest mit subtiler Technik und geschultem Personal gegen Krawallmacher und Terroristen, Dienstleistungskonzerne stellen private Söldnerarmeen zur Verfügung, die die Drecksarbeit für Politiker und Wirtschaftsbosse erledigen – mittlerweile ein umkämpftes Milliardengeschäft. Kurse in Selbstverteidigung haben regen Zulauf. Hier und da üben Abgeordnete zwischen zwei Ausschusssitzungen Pistolenschießen – für alle Fälle. Und weil es Entschlossenheit demonstriert.
     
    Ganze Bibliotheken ließen sich füllen mit Kompendien wie Sicherheitstechnik bei Anwendung von Brenngasen; Brandschutz und Feuersicherheit im Verbrauchermarkt und Warenhaus; Sicherheitsbestimmungen im Schulbau. Längst ist Technisches Sicherheitsrecht Lehrfach an unseren Hochschulen. Heere von Beamten und Angestellten plagen sich und andere mit Vorschriften
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