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Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast

Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast

Titel: Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast
Autoren: Jess Rothenberg
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hübsch und zierlich war wie immer, trug den Stimmungsring, den ich ihr zu ihrem dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte. Emma hatte ihre blonden Haare zurückgebunden, und ihre Augen waren geschwollen vom vielen Weinen. Tess, mit ihrem strubbeligen roten Schopf und ihren Sommersprossen, hielt eine Taglilie in der linken Hand.
    Meine Lieblingsblume.
    Es war verrückt, die drei da vorn stehen zu sehen – ohne mich. Als sei das Universum irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Unsere Initialen ergaben zusammen das Wort »BEST«, wie das Beste, was es je gegeben hat. Als wir klein waren, nannte uns Dad die »Glorreichen Vier«. Nur fehlte jetzt die Vierte im Bunde.
    Sie konnten schließlich nicht wissen, dass ich nur ein paar Meter von ihnen entfernt auf der Bühne saß und wünschte, ich könnte ihnen sagen, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, obwohl ich mir dessen selbst nicht sicher war. Aber Tote können eben nicht sprechen.
    Meine Freundinnen sahen einander an und holten tief Luft. Dann fing Sadie an zu singen. Einsam klang ihre Stimme durch den Raum. Und wunderschön.

    I will remember you. Will you remember me?
    Don’t let your life pass you by. Weep not for the memories.

    Bei dem Wort Erinnerungen begann ihre klare Sopranstimme zu zittern. Da stimmten Emma und Tess mit ein und hakten sich bei ihr unter. Meine drei allerbesten Freundinnen. Ihre traurige Harmonie hallte in der absoluten Stille des Raumes wider.
    O Gott.
    Ich sah mich um.
    Mom hatte zu weinen begonnen, und ihr Körper bebte unter ihrem Schluchzen. Dad versuchte, stark zu sein, trotzdem kullerten Tränen über seine Wangen. Mom hielt Jack im Arm, der ausdruckslos ins Leere starrte, und vergrub ihr Gesicht in seinem Haar. Diese wenigen Liedzeilen hatten ausgereicht, um den gesamten Raum ins Wanken zu bringen. Lehrer, Freunde. Kinder, die ich mochte, Kinder, die ich hasste, Kinder, die ich kaum kannte: Alle weinten.
    Wegen mir.
    Und dann sah ich ihn. Sein halblanges, verstrubbeltes dunkles Haar. Seine ungestümen blauen Augen fest auf den weißen Linoleumboden gerichtet. Die weiche, abgetragene North-Face-Jacke, an die ich mich so oft geschmiegt hatte. Seine perfekten Lippen. Die Lippen, die ich fast elf Monate lang jeden Tag geküsst hatte. Er hatte sich wie ein Phantom in den hinteren Teil der Aula geschmuggelt. Doch nicht er war das Phantom.
    Sondern ich.
    Ich hatte alles verloren.

2
    take another little piece
    of my heart now, baby

    Als ich von meinem fahrbaren Krankenhausbett herunterstieg und einen Blick auf meinen soeben erstellten Totenschein warf, las ich dort, wo der Arzt meinen Todeszeitpunkt vermerkt hatte (20:22 Uhr), drei Worte, die ich nie vergessen werde:
    Akute kongestive Kardiomyopathie.
    Besser bekannt als Herzversagen.
    In diesem Augenblick wusste ich noch nicht, dass der Arzt sich geirrt hatte.
    Mein Herz hatte nicht versagt. Jemand hatte es versagen lassen.
    Ich war zunächst so wütend auf mich selbst. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Ich hätte regelmäßiger zum Arzt gehen und mich untersuchen lassen müssen oder Medikamente nehmen oder mich beim Sport nicht immer zu Höchstleistungen antreiben sollen, als sei ich unbesiegbar. Denn in dem Moment, als ich mich aufrichtete und sah, dass ich tot war, hätte ich alles dafür getan, um eine zweite Chance zu bekommen.
    Außerdem fühlte ich mich belogen. Denn alle hatten mir versprochen, ich würde ein gesundes, normales Leben führen können. Auch Dad hatte das versprochen.
    Aber als ich die Traube von Ärzten und Krankenschwestern sah, die sich um das Röntgenbild meines Brustkorbs vor einem Leuchtkasten an der Wand versammelt hatte, wusste ich, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Alle starrten sie auf das Bild. Flüsterten. Deuteten. Diskutierten.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Niemand antwortete mir, also ging ich zu dem Leuchtkasten hin und spähte an den weißen Kitteln und Stethoskopen vorbei, um mir selbst ein Bild zu machen.
    Ich hatte zuvor schon viele Röntgenbilder gesehen (Dad hatte manchmal welche nach Hause mitgebracht, um Jack und mich über die verschiedenen Teile des Herzens abzufragen), aber das hier war etwas Neues. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Keines der Herzen auf den anderen Röntgenbildern hatte je so ausgesehen wie meines auf diesem Röntgenbild. Es war eindeutig: Irgendetwas stimmte da nicht.
    Während mir mein Herz auf kalter, unfreundlicher Folie entgegenstarrte, wusste ich plötzlich, dass sich alle geirrt hatten. Es waren nicht
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