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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel
Autoren: Justin Evans
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hier«, sagte er, »liest einen Essay.«
    Fawkes stand auf und brach den Bann. Instinktiv verstellte er den Weg zur Stirnseite des Tisches. Dr. Kahn, auf der anderen Seite, erhob sich ebenfalls. Um zu Andrew zu kommen, hätte Sir Alan über den Tisch springen müssen.
    »Du bist hier«, wiederholte er mit lauter, zorniger Stimme, »liest einen Essay!« Die Flammen der Kerzen loderten, als gäbe ihnen der Atem des trauernden Vaters neue Nahrung.
    Andrew sah Harness, der zum Sprung ansetzte.
    Oder war es Sir Alan? Die beiden waren eins.
    »Persephone gibt jetzt Laute von sich«, klagte Sir Alan und ließ seinen Tränen freien Lauf, »die kein Mensch erzeugen sollte. Ein Gurgeln. Es klingt, als würde Luft in ein Wasserrohr gepresst. Und in gewisser Weise ist es auch so.Sie ist so schwach«, schluchzte er, »so schwach, dass sie das Blut  … und den Schleim  … nicht mehr ausspucken kann. Sie kann nicht einmal mehr husten. Ich dachte, das ist das Schlimmste. Das eigene Blut ausspucken. Aber es ist noch viel schlimmer, wenn selbst das nicht mehr geht. Die Ärzte haben einen Begriff dafür … Mister Taylor. « Er spie die Worte voller Hass aus. »Sie nennen es Todesröcheln. Wenn das Todesröcheln einsetzt, sagen sie, dann hat der Patient noch siebenundfünfzig Stunden zu leben. Im Durchschnitt. Siebenundfünfzig! Wie würde es dir gefallen, zwei davon damit zu verbringen, in die Klinik zu kommen und meiner Tochter ins Gesicht zu sagen, dass du sie umgebracht hast? Oder, noch besser, wie würde es dir gefallen, weggesperrt zu sein, wie du es verdienst?« Er zog ein Handy aus der Tasche und hielt es hoch. »Soll ich die Health Protection Agency anrufen?«
    »Andrew wurde untersucht«, sagte Fawkes. »Er hat keine Tuberkulose.«
    »Halten Sie den Mund, Sie Arschloch«, fauchte Sir Alan. »Ich weiß, was er getan hat.« Dann wurde seine Stimme gefährlich leise. »Und du bist hier … liest einen Essay.«
    Die Anspannung der Anwesenden löste sich ein wenig ; Sir Alan beruhigt sich, sagten sie sich. Er ist vernünftig. Die Zuhörer sehnten sich verzweifelt nach Normalität – wenigstens für eine Minute. Doch bald begriffen sie, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm war.
    »Zur Hölle mit dir!«, brüllte Sir Alan und stürzte sich auf den Tisch. Und Andrew sah ihn – John Harness in der Luft; John Harness nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht; John Harness mit einem erschreckenden letzten Trumpf – oh, welch eine Ironie, Mister Taylor, du hoffst,deinen Feind mit einer Geschichte zu besiegen … Andrew sah, wie Sir Alan über den Tisch flog ; und in diesem Flug …
    Vittoria Corombona.
    Den bellenden, ausgezehrten Mörder auf dem Hügel.
    Den geschmeidigen blassen Liebhaber.
    Harness griff an. Andrew schnappte nach Luft wie jemand, der in eisiges Wasser taucht. Wind fegte durch die offene Tür. Die Kerzen flackerten und erloschen.

26

Todesröcheln
    Sie hörten ein Husten im Dunkeln. Ein anhaltendes Husten; allein bei dem Geräusch verspürten die Anwesenden ein Kratzen im eigenen Hals. Etwas raschelte. Ein Stuhl kippte um. Stimmengewirr: Kann jemand  …? Sollen wir die Kerzen wieder anzünden oder …? Ein Schaben, als Mr. Toombs seinen Stuhl zurückschob. Nach wenigen Sekunden: ein Klicken, und der Raum war in grelles Licht getaucht. Die Schüler, noch immer auf ihren Stühlen, blinzelten. Dr. Kahn hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Fawkes war an Andrews Seite geeilt, um ihn zu verteidigen. Sir Alan war in seinem Zorn über den Tisch gekrochen, jetzt allerdings saß er auf dem Tisch – seine Beine baumelten an der Stirnseite über den Rand – ein erschöpfter Krieger. Er starrte fassungslos vor sich hin. Andrew war weg.
    »Gut, er ist weg. Was hatten Sie vor? Wollten Sie ihn erwürgen?«, fragte Dr. Kahn.
    Sir Alan antwortete nicht. Er war benommen. Fawkes sah sich um – er war froh, dass Andrew entkommen konnte. Er drehte sich zu Sir Alan um, um ihn zurechtzuweisen, sah jedoch, dass er einen gebrochenen Mann vor sich hatte. Der Zorn auf Andrew war in gewisser Weise der letzte Ausdruck von Hoffnung gewesen, dass es jemanden gab, dem er die Schuld zuschieben konnte, dass er etwas tun konnte. Doch jetzt fühlte er sich dieser Illusion beraubt. Fawkes empfand Mitleid.
    »Es tut mit leid«, sagte Fawkes.
    »Leid?«, platzte Dr. Kahn entrüstet heraus.
    Fawkes fuhr fort: »Persephone ist ein großartiges Mädchen, eine Freundin. Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
    Sir Alan zuckte zusammen,
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