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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken
Autoren: Thomas Finn
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Mädchen zeigte, dass ihnen allen nur zu gut bekannt war. Elke! Andreas atmete tief ein. Miriam trug Elkes Portrait rüber zu dem hohen Altar, stellte es dort auf und entzündete daneben zwei Grabkerzen. Dann zog sie ein Fläschchen mit Likör aus dem Rucksack und füllte vier mitgebrachte Gläser. »Ich möchte, dass wir uns ihrer erinnern, versteht ihr? An sie und das, was sie damals auf sich genommen hat, um nicht nur unser Leben, sondern auch das aller anderen Kinder in Perchtal zu retten. Das sind wir ihr schuldig.« Sie teilte die Gläser aus. »Wer weiß, vielleicht weilt sie auch heute unter uns? Hier. Jetzt. An diesem Ort. Auf Elke! Freunde bis in den Tod!« Sie setzte das Glas an und leerte es in einem Zug. Andreas, Robert und Niklas folgten ihrem Beispiel.
    »Also gut, lasst uns die Sache hinter uns bringen«, brummte Niklas. Sie nahmen ihr Gepäck wieder auf und Andreas hob das stöhnende Mädchen an. »Was …?«, lallte sie, doch er legte ihr den Finger auf die Lippen und versuchte sie zu beruhigen. »Mach dir keine Sorgen, bald haben wir es überstanden.« Seine Kehle war trocken und ihm wurde abermals speiübel.
    Sie folgten dem schmalen Gang und betraten über ihn den vereisten Salzdom mit riesigen Keltenstandbildern. Andreas schluckte. Wie damals schimmerte die frostige Höhle nun wieder in einem kalten, bläulichen Licht, das sich in den vielen Eiszapfen spiegelte, die von Boden und Gewölbedecke aufeinander zu wuchsen. Einige von ihnen hatten sich inzwischen zu Säulen kalter Pracht vereint. Doch Andreas hatte nur Augen für den monströsen Schatten, der sich in der vereisten Wand zwischen den beiden Riesenstatuen abzeichnete und von dem das Licht ausging. Da sah er, dass sich doch etwas in der Höhle verändert hatte. Die zu Eisskulpturen gefrorenen Leichen ihrer Alter Egos, die einst auf diesem Plateau gestanden hatten, waren fort. »Wo sind unsere alten Körper hin?«, keuchte er.
    »Wir haben sie fortgeschafft.« Robert rückte sich den Gurt mit dem Flammenwerfer zurecht. »Runter in die Katakombe unter der Klosterruine, zu all den anderen Jugendlichen, die auf die eine oder andere Weise Opfer dieses Dings geworden sind. Ich hoffe, das war auch in deinem Sinne?«
    »Ja.« Andreas nickte und marschiert hinter den anderen her, bis sie vor dem tückisch glitzernden Perchtenkerker standen. Dort, wo sich Elke einst geopfert hatte. Die Wand sah aus, als bestünde sie aus poliertem Milchglas und spannte sich weit in die Dunkelheit über ihren Köpfen auf. In der Mitte aber wurde sie von einem hässlichen gezackten Riss verunziert, der intensiv blau leuchtete. Die eisige Fläche strahlte überhaupt eine mörderische Kälte ab. Trotz der Nähe konnten sie die Konturen des eingeschlossenen Dings in seinem Innern noch immer nur undeutlich ausmachen. Stammte es wirklich aus dem All? Andreas spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass es sie beobachtete. Es lauerte. Er wartete. Worauf? Warum schlug es nicht zu? Dass es die Macht dazu besaß, wusste er von damals.
    Misstrauisch sah er sich in der Höhle um. Robert reichte ihm die Schrotflinte, die er sich am Nachmittag ausgesucht hatte, und nahm selbst das Russengewehr in Anschlag. Offenbar befürchtete auch er, dass im Zwielicht plötzlich Köhler oder einer dieser Greifarme aus Schnee und Frost auftauchen könnte.
    Niklas hielt bereits den Zettel in der Hand. Er beugte sich über das auf dem Boden liegende Mädchen und tätschelte nervös ihre Wagen. »Schätze mal, du solltest sie jetzt wach machen.«
    Andreas nickte lahm und zog die Adrenalinspritze auf. Er würde seines Lebens nicht mehr froh werden, wenn sie das heute hinter sich hatten. Dennoch machte er weiter. Miriam hingegen schloss den Kasten mit dem Stab auf. Sie ergriff ihn -und jäh rieselte wieder dieses seltsame Gefühl durch Andreas Körper, das er von damals kannte. So als würde sich ein unsichtbares Band zwischen ihn, Miriam, Niklas und Robert legen. Erstaunt sahen sie einander an. »Spürt ihr das auch?«, flüsterte Miriam. »Ja, allerdings.« Robert streckte unwillkürlich eine Hand nach ihr aus. »Ganz so wie damals.« Niklas erhob sich, musterte den Stab aufgewühlt und leckte sich über die fleischigen Lippen. »Meine Güte … Unsere Seelen sind offenbar immer noch an diesen Stab gebunden. Das gibt es doch nicht.« Niklas wandte sich zu dem Mädchen am Boden um, das nun erstmals die Hand rührte. Ihre Lider flatterten. »Wo bin ich …?«, lallte sie. Niklas ignorierte sie und
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