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Auf die Freundschaft!

Auf die Freundschaft!

Titel: Auf die Freundschaft!
Autoren: Annika Bühnemann
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Prolog
     
    Für jeden anderen Menschen in meiner Umgebung war es ein ganz normaler Freitag im Sommer. Für mich jedoch war es der Tag, an dem meine Ehe zerbrach. 
    Nachdem ich unseren Sohn Mike beim Baseballtraining abgesetzt hatte, machte ich mich auf den Weg zu meinem Mann Ken, der noch einige Stunden arbeiten wollte. Ken war Abteilungsleiter einer riesigen Versicherung. Ich parkte auf dem Kundenparkplatz und setzte meine Sonnenbrille ab. Jetzt, am Abend, brannte die Augustsonne nicht mehr so gnadenlos. Ich nahm die Plastikdose mit dem noch warmen Auflauf, den ich Ken als Abendessen vorbeibringen wollte, stieg aus und verschloss die Tür. 
    In der Eingangshalle begrüßte mich Kessy, die Rezeptionistin. Ich kannte sie nur unter diesem Namen, der auch auf ihrem Namensschild stand.
    „Kessy, schön, Sie wiederzusehen!“
    Kessy zeigte mir ihr Zahnpastalächeln.
    „Claudia!“
    Wie die meisten Amerikaner sprach sie meinen Namen unendlich gedehnt aus. Anfangs hatte ich mich unwohl gefühlt, jetzt „ Klodia “ zu sein, aber nun lebte ich schon fast einundzwanzig Jahre in den Staaten und hatte mich daran gewöhnt.
    „Ich bringe Ken schnell das Abendbrot“, erklärte ich und hielt die Plastikdose hoch. Kessy nickte. Ich wünschte ihr einen schönen Feierabend und ging zu den Fahrstühlen. Kens Büro lag im zehnten Stock. Dort angekommen trat ich aus dem Fahrstuhl und wandte mich nach rechts, zu Kens Büro am Ende des Korridors. Ich öffnete die Tür.
    „Ich wollte dir nur schnell dein Abendessen…“
    Krachend fiel die Plastikdose auf den Boden und der Nudelauflauf verteilte sich auf den Fliesen. Ich blickte auf Kens Rücken. Sein Hemd sah ganz zerknittert aus. Seine Hose war bis zu den Knien heruntergelassen, ebenso die Boxershorts. Seltsamerweise fiel mir in dieser Sekunde sofort ein, dass ich ihm diese blauen Shorts zu Weihnachten geschenkt hatte. Links und rechts von Kens Rücken wippten nackte Frauenbeine auf und ab, die jetzt verschwanden. Stattdessen starrte mich eine blonde Frau an, den Ausdruck von schierem Entsetzen auf ihrem Gesicht. Ich glaube, ich sah genau so aus. Ken hatte seinen Kopf sofort gedreht, als ich hereingekommen war. Er zog seine Anzughose wieder hoch und versuchte nervös, den Reißverschluss zu schließen. Die Frau stieg vom Schreibtisch, zog ihren hochgeschobenen Rock glatt und flüchtete so schnell es ihre hochhackigen Schuhe erlaubten aus dem Büro. Ich hatte sie bereits häufiger auf Betriebsfeiern gesehen, fiel mir nun ein. Sie war eine der Assistentinnen, die in Kens Abteilung arbeiteten.
    „Ich kann das erklären!“, stammelte Ken. Sein Hemd war teilweise in die Hose gesteckt, teilweise hing es darüber. Die Haare sahen wuschelig aus, sein Kopf war so rot wie Erdbeeren und er schwitzte. Ich kann nicht sagen, ob es Angst war oder ob es durch seine eben unterbrochene sportliche Aktivität kam.
    „Ich verzichte“, sagte ich und legte dabei so viel Abscheu in die Stimme, wie ich konnte. „Du weißt, was ich beim letzten Mal gesagt habe. Wenn ich dich noch ein Mal erwische, ziehe ich wieder nach Deutschland.“
    Natürlich wusste er das noch, obwohl es jetzt bereits vier oder fünf Jahre her war.
    Ach, wem mache ich etwas vor – natürlich wusste ich genau, wie lange es war. Vor sechseinhalb Jahren hatte ich ihn zum ersten Mal erwischt. Ich fragte mich unwillkürlich, warum er unsere Ehe ein weiteres Mal aufs Spiel gesetzt hatte, aber statt mich auf ein Gespräch einzulassen, drehte ich mich um und verließ mit erhobenem Kopf das Büro. Ich versuchte, den dicken Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken, aber ich konnte es nicht.
    „Honey, warte!“
    Tränen krochen in mir hoch, aber ich wollte unter keinen Umständen jetzt wie ein kleines Mädchen heulen. Ich wollte stark sein. Ken rannte hinter mir her. Mist, warum war dieser Fahrstuhl so langsam? Meine Augen starrten auf die silbernen Fahrstuhltüren, die noch immer geschlossen waren. Ken griff nach meiner Hand.
    „Fass mich bloß nicht an mit deinen Dreckspfoten!“, schrie ich.
    Meine Stimme klang weinerlich und ich hasste mich dafür. Ich wollte böse klingen. Angsteinflößend. Ken ließ mich trotzdem sofort los und redete auf mich ein, aber ich hörte ihm nicht zu. Die Wut in meinem Bauch hatte die Trauer für kurze Zeit verdrängt, und ich nutzte die Chance: „Es ist aus, Ken! Ich packe meine Sachen und ziehe nach Deutschland. Mir reicht’s.“
    Das Dong des Fahrstuhls ertönte, und die silbernen Türen glitten
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