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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken
Autoren: Thomas Finn
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Der Ort sah fast genau so aus wie früher. Selbst die aufgehackte Tür mit den Eisenbändern drüben im Gang zu dem Eisdom existierte noch. Miriam gebot ihnen, eine Pause einzulegen, und setzte ihren Rucksack ab. Andreas gestattete es sich zum ersten Mal, das Mädchen abzulegen. Sie blinzelte, richtete den trüben Blick auf ihn und wimmerte. Welche Angst musste die Kleine ausstehen! Sicher begriff sie langsam, was mit ihr geschah. »Sch … Ganz ruhig«, flüsterte er ihr zu. »Bald bist du wieder zu Hause.« Gott, wie einfach ihm diese Lüge von den Lippen ging. Er bettete ihren Kopf auf seinen zusammengeknüllten Schal.
    »Was ist denn?«, raunzte Niklas ungeduldig. Miriam reichte ihm ebenso wie ihnen anderen Spikes. »Hier, schnallt euch die Dinger unter die Stiefel. Ihr wisst doch, wie glatt es in dieser verdammten Höhle da drüben ist.« Niklas rollte mit den Augen, doch er folgte ihrer Aufforderung ebenso, wie die anderen. Skeptisch betrachtete er die Waffen und Salzpakete, die Robert an der Kammerwand abgelegt hatte. »Das Zeug da nützt uns überhaupt nichts.«
    »Indem du dich ständig wiederholst, wird es nicht unbedingt wahrer«, fuhr ihn Robert an. »Schon vergessen, was dieses Ding damals mit Konrad angestellt hat?«
    »Verrate uns lieber mal, wie dein geheimnisvoller Plan eigentlich aussieht«, stand Andreas seinem Freund bei. Niklas kramte eine Kladde mit Aufzeichnungen aus dem Rucksack. »Ganz einfach, wir werden es genau so machen, wie die Mönche damals mit den Kinderbischöfen.« Er zückte ein Blatt Papier mit einer lateinischen Inschrift und hielt es kurz hoch. Anschließend deutete er mit dem Bogen auf das Mädchen. »Das hier ist die Inschrift aus der Katakombe. Alles, was wir tun müssen, ist, dem Mädchen den Stab in die Hand zu drücken und sie dazu zu bringen, den Text abzulesen.« Niklas senkte verschwörerisch seine Stimme. »Der Text ist lateinisch. Die Kleine wird nicht verstehen, was sie da eigentlich liest. Sie bietet sich zum Opfer an und stirbt, bevor sie überhaupt mitbekommt, was mit ihr geschieht.« Andreas, Robert und Miriam schwiegen.
    »Versteht ihr nicht?«, ereiferte sich Niklas weiter. »Das war der Trick, mit dem die Priester es geschafft haben, dass die Kinder das taten, was sie von ihnen wollten. Sie haben ihnen die Selbstopferung als einfaches Nikolausgebet verkauft. Die Ruine im Wald, das war keine gewöhnliche Stiftsschule. Ich verwette mein Leben darauf, dass Latein nicht zu den Sprachen gehörte, die sie ihnen als Erstes beigebracht haben. Zumindest haben sie einige ihrer Schützlinge ganz sicher unwissend gehalten.« Niklas deutete mit dem Zettel auf das Mädchen. »So konnten die Mönche genau kontrollieren, was der Stabträger im Angesicht dieses Monstrums ausrief. Davon abgesehen dürfen wir es nicht riskieren, von dem alten Brauch allzu sehr abzurücken. Vermutlich hat genau so etwas dazu geführt, dass der Kerker dieses Ungeheuers 1978 einen Riss bekam. Wir haben nur diesen einen Versuch.«
    »Woher weißt du das alles?«, fragte ihn Andreas erstaunt.
    »Ganz einfach, weil ich Köhlers Notizen gelesen habe«, ereiferte sich Niklas. »Aber das waren in Wirklichkeit nicht seine Aufzeichnungen, sondern die von Jonas, meinem … Meine Güte, du weißt schon. Köhler hat doch damals in der alten Wohnung meiner Eltern gelebt. Schon vergessen? Erinnerst du dich nicht mehr, was Miriam damals von ihrer Hypnosesitzung mit Elke erzählt hat? Sie sagte, dass Jonas die Aufzeichnung der einstigen Clique von 1978 unter den Dielen seines Zimmers versteckt hätte. Ich war da und habe mich umgesehen. Vieles von dem, was wir heute über den Schrecken hier im Tal wissen, entstammt diesen Unterlagen. Köhler hat daraus vermutlich seine eigenen Schlüsse gezogen. Vielleicht haben sie ihn erst auf die Idee gebracht, den Krampus zu befreien.«
    »Der Krampus …« Miriam schnaubte verächtlich und nahm Niklas den Zettel aus der Hand. Sie betrachtete ihn zweifelnd und Niklas sah ihr irgendwie angespannt dabei zu. »Na gut«, meinte sie schließlich. »Es sei denn, ihr habt Einwände?«
    Sie wandte sich Andreas zu und in ihrem Blick lag ein Ausdruck, den er nicht so recht zu deuten wusste.
    »Alles, was das Leid dieses Mädchens verkürzt, soll mir recht sein«, krächzte er. »In Ordnung, dann machen wir es so.« Auch Robert brummte zustimmend und Niklas lächelte zufrieden. »Dann lasst uns rübergehen.«
    »Nein, wartet.« Miriam kramte ein Bild hervor, das ein lächelndes blondes
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