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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Rivalen
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PROLOG
    MITTWOCH, 10. APRIL 1931
    Wäre Charles Gurney Seymour neun Minuten früher geboren worden, hätte er den Titel eines Earl geerbt, ein Schloß in Schottland, zehntausend Hektar Land in Somerset und eine gut gehende Bank in der Londoner City.
    Es dauerte einige Jahre, bevor der junge Charles begriff, was es bedeutete, das erste Rennen seines Lebens verloren zu haben. Sein Zwillingsbruder Rupert hatte es mit Mühe geschafft, als erster das Licht der Welt zu erblicken, und in den folgenden Jahren bekam er nicht nur die üblichen Kinderkrankheiten, sondern es gelang ihm auch, sich Scharlach, Diphtherie und Meningitis zuzuziehen, so daß seine Mutter, Lady Seymour, ständig um sein Leben zitterte. Charles aber war zäh und hatte so viel Seymour-Ehrgeiz geerbt, daß es für ihn und seinen Bruder ausgereicht hätte. Nach ein paar Jahren nahmen alle, die die beiden Brüder kennenlernten, fälschlich an, Charles sei der Erbe des Titels.
    Verzweifelt suchte der Vater nach irgendeiner besonderen Begabung seines Sohnes Rupert. Er suchte vergebens. Mit acht Jahren wurden die beiden Jungen nach Summerfields geschickt, wo sich Generationen von Seymours auf die Anforderungen von Eton vorbereitet hatten. Charles wurde während des ersten Monats an der Vorbereitungsschule zum Klassenvertreter gewählt, und mit zwölf Jahren war er Schulsprecher, während man Rupert nur den ›kleinen‹ Seymour nannte. Dann kamen beide Jungen nach Eton, wo Charles seinen Bruder sehr bald in sämtlichen Gegenständen übertraf, schneller ruderte und ihn im Boxring beinahe umbrachte.
    Als ihr Großvater, der dreizehnte Earl of Bridgewater, 1947 endlich starb, wurde der sechzehnjährige Rupert Viscount Seymour, und Charles erbte die bedeutungslosen Buchstaben »Hon«, die er vor seinen Namen setzen durfte.
    Der Honourable Charles Seymour wurde jedesmal böse, wenn Fremde seinen Bruder ehrfürchtig mit »My Lord« ansprachen. Seine Leistungen in Eton blieben hervorragend, und er bekam einen Studienplatz für Geschichte in Christ Church in Oxford. Rupert absolvierte alle diese Jahre, ohne seine Lehrer und Prüfer im geringsten zu überfordern. Mit achtzehn kehrte der junge Viscount auf den Familiensitz in Somerset zurück, um den Rest seines Lebens als Gutsbesitzer zu verbringen. Wer dazu bestimmt ist, elftausend Hektar Land zu erben, kann kaum als Bauer bezeichnet werden.
    Von Ruperts Gegenwart befreit, setzte Charles seine Studien in Oxford fort wie eine bloße Spielerei. Die Wochentage verbrachte er damit, die Geschichte seiner Familie zu studieren, und die Weekends auf Partys und Treibjagden. Da niemand auf die Idee kam, Rupert könnte für die Finanzwelt Interesse zeigen, nahm man allgemein an, daß Charles nach Studienabschluß die Nachfolge seines Vaters in der Seymour-Bank antreten werde – zuerst als Direktor, später als Präsident, obwohl letztlich Rupert die Familienanteile an der Bank erben würde.
    Dieser wohlüberlegte Plan scheiterte jedoch, als der Hon. Charles Seymour eines Abends von einer jungen Studentin aus Somerville zur Oxford Union geschleppt wurde. Sie verlangte von ihm, er möge sich den Vortrag »Ich bin lieber ein einfacher Bürger als ein Lord« anhören. Dem Präsidenten des Debattierklubs war es gelungen, Premierminister Sir Winston Churchill als Vortragenden zu gewinnen. Charles saß hinten in dem großen Saal inmitten von Studenten, die von Churchills Vortrag fasziniert waren. Während der witzigen und beeindruckenden Rede ließ Charles den großen Staatsmann nicht aus den Augen, obwohl ihm immer wieder derselbe Gedanke kam: Nur die Zufälligkeit der Geburt hatte es verhindert, daß Churchill nicht der neunte Duke of Marlborough geworden war. Hier stand ein Mann vor ihm, der drei Jahrzehnte lang die Weltbühne beherrscht und sämtliche erblichen Titel, die eine dankbare Nation ihm anbot, abgelehnt hatte, einschließlich des Titels eines Duke of London.
    Von diesem Moment an verbat sich Charles, daß man ihn »The Honourable« nannte; sein Ehrgeiz war größer als jeder Titel.
    Ein anderer Student, der an diesem Abend Churchill zuhörte, dachte ebenfalls über seine Zukunft nach. Er aber saß nicht eingezwängt zwischen seinen Kollegen im Hintergrund des Saales. Der hochgewachsene junge Mann im Frack thronte allein auf einer erhöhten Plattform in einem breiten Sessel, denn darauf hatte er als Präsident der Oxford Union Anspruch. Bei seiner Wahl war sein gutes Aussehen jedoch nicht ausschlaggebend gewesen, denn
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