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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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1982
    13. Mai
    Ein Tagebuch. Es schien mir immer eine indiskrete, voyeurhafte Angelegenheit, eine monologische auch – ich möchte nie «hinterher, wenn die Gäste weg sind», aufschreiben, wie sich Augstein oder Biermann, Grass oder Wunderlich benommen haben. Deshalb lange Tagebuch-Pause. Typisch die beiden Daten, die den Neubeginn auslösen: der Tod von Peter Weiss, ausgerechnet an einem 10. Mai – Tag der Bücherverbrennung, an dem ein Exilierter sterben muß! Der mich doch sehr berührt hat, wohl auch wegen unserer «Entfernung» der letzten Jahre, seiner Verletztheit über meine negativen Kritiken seiner «Ästhetik», wobei mir Michaelis merkwürdig-freundlich-versöhnliche Grüße nach der Bremer Preisverleihung überbrachte. Das zweite Datum – ein Beginn, kein Ende: die «Premiere» nächste Woche in Zürich, wovor mir bange ist – die erste Lesung aus «jenem» Buch, auf Einladung von Muschg, der mir ganz ungewöhnliche Briefe schrieb, der sicheren Überzeugung, ich müsse auch anderes schreiben als «nur» Essays. Ertappe mich bei der «Probe» zum Lesen … Es kommt da allerlei zusammen, um nicht zu sagen, hat sich vieles gestaut: so wunderbare Abende wie gestern der bei Grass oder vor drei Tagen bei Wunderlich, nach denen man durchaus das Gefühl hat, Freunde zu haben – beide direkt in mich dringend, sie im Sommer oder wann auch immer auf ihren Landsitzen im Süden zu besuchen; Grass baut angeblich auf dem Dach seines Portugalhauses extra für mich eine kleine Wohnung. Aber nicht nur das, sondern auch – das spüre ich wohl nicht falsch – Respekt vor meiner Arbeit. Natürlich reziprok – ich finde die bildhauerischen Arbeiten von Grass, der 30 Jahre in dem Metier nicht gearbeitet hat, enorm. Habe gleich zwei gekauft – obwohl ich im Moment weiß Gott andere Sorgen habe. Es ist dieses Moment gegenseitigen Respekts, auch des Spürens einer gemeinsamen Ermüdung, das bindet; Grass ist kaum noch dazu zu bewegen, auch nur die Tagesschau zu sehen, so weit weg ist er – er! – von allen öffentlichen Dingen. Paul sowieso; sein Hauptziel ist momentan sein – unser? – Museum. Darüber werde ich ja Montag mit Hochhuth in Zürich noch sprechen. Wir vier sind schon eine merkwürdig-schön-verquere Kombination. Ich verkrauche mich in mich, bin nur noch müde, fühle mich am Ende meines Lebens angekommen, empfinde die Hauskauf-Situation als Paradoxon, ähnlich dem Endeinrichten meiner Ostberliner Wohnung, als ich schon wußte, ich werde türmen. Ich bereite ein Nest, das ich nicht mehr bewohnen werde.
    15. – 17. Mai
    Seltsames, im Grunde trauriges Wochenende in Berlin. Freitag abend mit Brasch essen, ein anfänglich wunderbarer, freundschaftlicher Abend – habe das Gefühl, daß wir uns gegenseitig sehr mögen (was er ja, als ich krank war, auch durch rührende Fürsorglichkeit bewies) und uns auch sehr viele «Wahrheiten» sagen können. Er wohnt sehr am Abgrund, an der Finsternis – und versteht dadurch offenbar meine Lebenssituation, die ich als immer auswegloser empfinde; was ich ihm sagen kann. Sonst muß ich ja der Muntere und Flinke sein. «Ediert, nicht geboren», nannte das der ahnungslose Henrichs neulich, weil er annimmt, daß Leben für mich nur aus Lesen und Intellektualität bestünde. Wenn er wüßte, daß ich bereit wäre, die ganze Scheiß-Intellektualität hinzuwerfen, wenn … Neulich nach dem Montand-Konzert sah ich jemanden, der prompt hinterher auch im bösen Keller auftauchte, dann – obwohl ich ihn ansprach – sehr rasch «weg» war. Ärgerte mich nexten Tags, weil ich dachte, das sei wegen «betrunkener, alter Mann» gewesen. Nix da: Donnerstag abend, bevor ich nach Berlin flog, war ich dort wieder, traf den, sprach mit ihm – ein CDU-Parolen plappernder Dummkopf, der mir gleich sagte, er sei aber kein Gesprächspartner für mich. Erstens sei ich doch nun wohl alt genug geworden, um zu wissen, daß man sich hier nicht unterhalten wolle, und zweitens sei ich ihm zu «hoch» – er wisse genau, wer ich sei. Sprach’s und ging vor meinen Augen in den Dunkelraum. Das meinte Brasch, wenn er mich zu «mächtig» nannte. Ein gutes Wort auf der Suche nach dem Grund, warum Menschen – erst von mir fasziniert – mich gleichsam abstoßen, sich retten; mindestens in die «Scheidung» à la Ledig: Alle retteten sich ja vor mir. Es ist irgendeine «Über»-Spannung in mir oder an mir. Ich habe das nun tausendmal erlebt. Der Brasch-Abend wurde eine Brasch-Nacht mit entsetzlichem
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