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Weil du fehlst (German Edition)

Weil du fehlst (German Edition)

Titel: Weil du fehlst (German Edition)
Autoren: Jana Frey
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Raymonds Hand jetzt in seiner hielt, so als tröste ein Erwachsener ein Kind.
    Oh, Raymond, wo in deinem Kopf ist verschwunden, wie wir zusammen Hand in Hand durch den Sonnenschein gelaufen sind?
    »… Mr A.‘s Sonne ist erloschen«, sagte Bendix gerade sanft zu Rabea.
    Verrückt, mein Vater war fünfzig und Bendix, sein Tröster, vielleicht siebzehn oder achtzehn.

    Drei Spuren :
    Erste Spur: Rabea und Marjorie und dieses Wochenende: ein mir schon bekannter Spießrutenlauf aus Weinen, Schreien, Schweigen. Weinen, Schreien, Schweigen.
    Zweite Spur: Myron und ich und dieses Wochenende:
    »Ich besuche Ray fast jede Woche«, sagte Myron. Wir liefen draußen herum, weil sich drinnen Marjorie und Rabea anschrien. Und weinten. Und sich umarmten. Und schwiegen. Und wieder schrien.
    »Und – deine Mutter?«, fragte ich beklommen.
    »Florida. Schon lange wieder verheiratet. Auch noch neue Kinder, die schon wieder groß sind. Ich hatte es ziemlich beschissen damals, Kassandra. – Eigentlich hat mich Marjorie aufgezogen – nach dieser Sache …«
    Diese Sache war Len.
    »Old Saybrook«, sagte Myron plötzlich, ohne aufzusehen.
    »Old Saybrook? Was ist dort?«, fragte ich.
    »Da hat – deine Mutter … Lens Asche ins Meer gestreut. Ihr wart da ein paarmal in den Ferien. An der Küste von Connecticut. Ein … ein Ferienort. – Len … liebte es, dort zu sein.«
    Warum wusste Myron das alles?
    Ich schwieg.
    »Ich fahre – ziemlich oft hin«, sagte Myron leise. »Einfach nur so, sitze am Meer rum, auf einem Stein oder im Sand. Ich fühle mich nämlich ziemlich oft zum Kotzen, musst du wissen.«
    Ich sah ihn nicht an. Ich hasste ihn. Ich musste ihn hassen. Er hatte meinen Bruder getötet. Und im Grunde auch Raymond. Er hatte mir so wahnsinnig viel genommen.
    Ich hasse dich, schrie es in mir drin.
    Ich sah ihn doch an. Seine hellgrauen Augen, die irgendwie meinen ähnlich waren. Sein Atem, seine Bewegungen. Er lebte. Verdammt, er lebte. Er war ein ganz normaler Student. Was er getan hatte, war ihm nicht auf die Stirn geschrieben, hatte ihn selbst nicht zu Fall gebracht. Das Leben, die Welt lagen ihm zu Füßen. Lagen verheißungsvoll vor ihm. Len dagegen? Raymond dagegen?
    Aber irgendwie hasste ich ihn doch nicht.
    Dritte Spur: Elija und ich an diesem Wochenende: Ich schrieb SMS, und Elija antwortete. Versuchte, mich zu trösten, versuchte, die richtigen Worte zu finden, versuchte, nett zu klingen, ohne Nähe aufkommen zu lassen.
    »Das Leben ist beschissen«, sagte ich am Sonntagabend zu Rabea.
    Dasselbe schrieb ich Oya, Achmed, Darius und Selma via Internet. Und Elija in einer SMS.

    Über allem lag ein violettbraunes Licht, in dem die Umrisse verschwammen und Great Emeryville zu einem düsteren Schatten wurde.
    »Kannst du jetzt – endlich mal bleiben?«, fragte ich Rabea, als wir im allerletzten Licht die Sunland Road erreichten.
    Rabea sah mitgenommen, elend aus. Heute Abend würde sie wieder zu viel Rotwein trinken, da war ich mir sicher.
    »Ich … ich hoffe es«, sagte sie und fuhr in unsere dämmrige Auffahrt.
    »Schreib das Oya«, riet ich ihr. Mehr konnte ich nicht tun.
    »Das werde ich«, murmelte Rabea, stieg aus und schlug, vielleicht weil sie fror, die Arme um sich selbst.
    »Was ist das … eigentlich für ein Typ, mit dem du jetzt zusammen bist?«, erkundigte ich mich, während wir ins Haus gingen.
    Rabea winkte ab. »Unwichtig«, sagte sie vage. Das war wieder Rabea, wie sie leibte und lebte, schweigsam, undurchsichtig und ungeduldig mit der ganzen, verkorksten Welt. Vielleicht war sie auf irgendeine Art ebenso erloschen, wie Raymond es war. Nur funktionierte sie besser. Und darum fiel es nicht so auf.

    Am nächsten Morgen hatten sich die Wolken des Wochenendes aufgelöst, und ein breiter Strahl nicht mehr so niedriges Sonnenlicht wie im Winter beleuchtete mein Fenster, das dringend einmal geputzt werden musste.
    Frühlingssonne, Frühlingslicht, trotz der zu schmutzigen Scheibe.
    »Oya schreibt, es geht ihr gut. – Wenigstens etwas«, sagte Rabea seufzend, die in der Küche saß, an ihrem eigenen, altersschwachen Laptop. Neben ihr standen eine leere und eine halbleere Flasche Rioja und ein Glas.
    »Warst du nicht im Bett?«, fragte ich.
    Nein, war sie nicht. Sie hatte die Nacht stattdessen, wie es aussah, mit Trinken (Weinflaschen), Denken (sie grübelte ja dauernd), Weinen (massenweise zerknüllte Kleenextücher überall) und Malen (Skizzen allerorten) zugebracht.
    Ich, Oya, Pavel aus
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