Weil du fehlst (German Edition)

Virginia und Lucy werden vorübergehend bei Virginias Eltern wohnen.«
    Mr Shoemaker würde Mr Rosen nicht anzeigen.
    Und ich sollte in Ruhe meinen Schulabschluss machen.
    Das war die ganze Wahrheit.
    Meine und Elijas gemeinsame Zeit war Vergangenheit.
    Wir standen einen Moment stumm voreinander, aber dann nahmen wir uns doch in die Arme, und Elija legte ganz leicht seine Lippen auf meine, lange, lange, lange. Wind mit Hafengeruch streifte unsere Gesichter, irgendwo kreischten ein paar Möwen, während wir Abschied voneinander nahmen.

    »Fahr nach Hause, Kassandra – liebe Kassandra«, bat Elija mich zum Schluss, als er schon wieder in seinem Kombi saß. »Die Cow Lane ist eine düstere Ecke. Ich will nicht, dass du hier alleine bist. Ich würde mir Sorgen machen.«
    Aber ich blieb noch eine Weile, nachdem er fort war. Mir würde schon nichts passieren. Möwen, Hafenluft, Zwielicht, eine bröckelige Mauer zum Draufsitzen und ins Hafenbecken Hinabsehen. Sonst war hier nichts.
    Und ich war schließlich die Weltenbummlerin. Ich kannte mich aus. Ich hielt eine Menge aus.
    Okay, Schulabschluss. Es wäre natürlich verrückt, auf ihn zu verzichten, so kurz vor dem Ziel. Andererseits war der Gedanke an die Schule, an Selma, Gretchen, Mercedes, Flavia, Brendan und Zelda nicht gerade verlockend. Aber ich würde es schon schaffen.

    Und danach?
    Zu Achmed, dem Guten, nach Ankara – eine Weile die Türkei erkunden? Oder eventuell zu Sergio und seiner neuen Frau? Sie konnten bestimmt Hilfe mit ihrem Baby gebrauchen. Vielleicht konnte ich ein Au-Pair-Jahr auf Stromboli machen? Oder Schweden? Ich konnte Oya und Jonna in Göteborg besuchen und mit ihnen Skandinavien unsicher machen. Dann war da noch Myron. Vielleicht ließ ich mir von ihm zeigen, wo genau in Old Saybrook Rabea Lens Asche ins Meer gestreut hatte. In Gedanken sah ich mich mit meinem Halbbruder am Strand sitzen und aufs Meer hinausschauen. Und Raymond? Meine Tagträume in Bezug auf ihn? Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung. Vielleicht, wenn Oya und ich zusammen zu ihm kamen und Zeit, Zeit, Zeit mitbrachten? Was sagte Sergio immer: Die Hoffnung stirbt zuletzt …
    Und dann war da natürlich Darius, mit dem ich ins Reine kommen wollte. Ich war mir sicher, dass er mit den Pinnwandeinträgen nichts zu tun hatte.

    Vielleicht, ja – vielleicht würde ich alles machen.

    Langsam ging ich die Straße hinunter Richtung Rabeas kleinem, zerbeulten Auto, als mir jemand begegnete. Eine stille Silhouette, jemand, den ich kannte, jemand, der vergnügt aussah.
    »Hey, Kassandra!«
    »Hey, Milt …«
    »Alles klar?«
    Darauf hatte ich keine Antwort, aber wir fingen an zu reden. Über alles Mögliche. Diese Stadt, die Leute, die hier lebten, das Weltenbummeln, Eltern, lebende und tote, Testrale …
    »Wird schon, Kas, ich versprech’s dir«, sagte Milt irgendwann und lächelte mir zu.

    Leb wohl, lieber Elija. Und Danke. Für alles.
    Es muss im Leben mehr als alles geben, sagt Sergio auf Stromboli manchmal.

Über Jana Frey
    Jana Frey wurde 1969 in Düsseldorf geboren, studierte Literatur, Geschichte und Kunst in Frankfurt, den USA und in Neuseeland. Sie hat bereits zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht und arbeitet auch fürs Fernsehen. Ihre Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Jana Frey lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.
    Im Fischer Verlag sind von ihr bereits folgende Jugendbücher lieferbar: ›Rückwärts ist kein Weg‹, ›Verrückt vor Angst‹, ›Der verlorene Blick‹, ›Schön‹ und ›Schwarze Zeit‹.

Impressum
     
    Covergestaltung: bilekjaeger unter Verwendung einer Abbildung von Getty Images/Flickr/Rekha Garton
     
    Erschienen bei FISCHER E-Books
     
    © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
     
    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
    Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
    ISBN 978-3-10-401308-4



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