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Weil du fehlst (German Edition)

Weil du fehlst (German Edition)

Titel: Weil du fehlst (German Edition)
Autoren: Jana Frey
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losgefahren waren.
    Ich denke an dich und wünsche dir Kraft! , schrieb er. Nicht viel, aber immerhin etwas.
    Rabea fuhr, ich saß untätig neben ihr, und wir ließen die Baumwipfel von Great Emeryville Park hinter uns. Einen Augenblick lang öffnete sich vor uns der ganze Himmel, gleißend hell, mit apokalyptischen Lichtsäulen, die durch Wolken brachen.
    Meine Wolke? Seit ich mich wieder an Len erinnern konnte, war sie aus meinen Träumen verschwunden.
    Irgendwo in der Ferne regnete es. Ein Regenbogen glomm auf und verschwand wieder. Ich musste weinen.
    »… als es passiert war, mitten in der Aufregung, verschwand Ray«, sagte Rabea plötzlich. »Erst am Tag darauf fand ihn ein Ranger im Wald. Er lag unter einem Baum, stumm, nass, lehmverschmiert, zusammengerollt. Zuerst hielt ihn der Ranger für tot … Und im Grunde hatte er ja recht …«
    »Mom …«, bat ich, aber sie sprach trotzdem weiter.
    »Du sollst eines Tages verstehen, warum … warum ich gegangen bin. Mit euch beiden, dir und Oya.«
    Wir erreichten den Regen.
    »Ich habe schreckliche Angst davor, ihn wiederzusehen, Kassandra«, fuhr Rabea fort und schaltete den Scheibenwischer ein. Ich sah, dass ihre Finger zitterten.
    »… er aß nicht mehr, er trank nicht mehr, er konnte … nicht mehr laufen – keine Toilette aufsuchen.«
    Wir waren schon in Massachusetts, die Nummernschilder der vor und hinter uns fahrenden Wagen hatten die Farbe gewechselt, statt Blauweiß Rotweiß.
    »Sie ernährten ihn zuerst per Infusionsschlauch – und später mit einer Magensonde. Sie zogen ihm Windeln an, Kassandra.«
    Rabeas Stimme war nur noch ein Hauch.
    »Stunden-tage-nächtelang saß ich an seinem Bett, während sich Amanda und Marjorie um dich und Oya kümmerten.«
    Nach diesem Satz schwieg sie, bis wir die Klinik erreichten. Auf dem Parkplatz saßen wir noch eine Weile stumm nebeneinander.
    »Du hast mir auch Sorgen gemacht, Kassandra. Du schienst dich an nichts zu erinnern, du fragtest nicht nach Len oder Raymond, du wurdest schrecklich dünn und sprachst kaum mehr ein Wort. Wir brachten dich zu einer Therapeutin, wahrscheinlich erinnerst du dich nicht. Du bekamst eine Puppe, die wir – Len nannten, aber du rührtest sie kaum an. – Und eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Ein Bekannter erzählte mir von dieser Arbeitsgemeinschaft in Rumänien. Er zeigte mir Bilder von den Zuständen dort. Kranke, mutlose, traurige Kinder in elenden Kinderheimen, deren Augen um Hilfe zu flehen schienen.«
    Rabea packte meine Hände. »Und da sagte ich zu. Ich hatte das Gefühl, ebenfalls kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Und darum sagte ich zu, Kassandra! Um wenigstens uns zu retten.«
    Ich gab auf diesen Ausbruch keine Antwort.
    Aber als wir schließlich nebeneinander den Kiesweg entlanggingen, den ich das letzte Mal mit Elija entlanggelaufen war, antwortete ich doch: »Inzwischen isst er wieder. Und auch die – Toilette scheint er wieder ganz normal zu benutzen. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, Rabea, du hast ihn im Stich gelassen.«
    Dann waren wir da.
    »Oh, mein Gott«, sagte Rabea jedes Mal, als sie zuerst Marjorie, dann Myron und zum Schluss Raymond gegenüberstand.
    Während unseres Besuchs geisterte ein junger Mann in Raymonds Zimmer, lächelte uns nacheinander vage an, berührte murmelnd unsere Fotografien, Raymonds Bett, die herumstehenden Blumentöpfe, und begann dann wieder von vorne.
    »Oh, Mr A.«, murmelte er dabei ein paarmal.
    »Das ist Bendix Vandenberg«, sagte Marjorie. »So etwas … wie ein Freund von Raymond, wenn man das sagen kann. Er wohnt ebenfalls auf dieser Station. Bendix ist Autist. Er hält sich gerne bei Ray auf. – Hallo, Bendix, Lieber.«
    Rabea saß stumm vor meinem Vater und schaute ihn an. Noch nie hatte ich sie so traurig gesehen wie in diesem Moment.
    »Der Weg geht genau da lang, wo die Angst ist«, sagte Bendix kryptisch und setzte sich neben sie.
    »Wollen wir in der Cafeteria etwas trinken gehen?«, fragte mich Myron irgendwann. Außer Hi, Raymond … hatte ich noch nichts zu meinem Vater gesagt. Rabea und Marjorie und jetzt auch noch Bendix Vandenberg umringten ihn immerzu, nahmen ihn völlig ein.
    Ich zwang mich, meinen fremden Halbbruder direkt anzusehen. Draußen regnete es immer noch. Graues, wässriges Licht sickerte zum Fenster herein und tränkte uns alle in einen grauen, trostlosen Schein.
    »In Ordnung«, stimmte ich schnell zu.
    Als wir zur Tür hinausgingen, sah ich, dass Bendix
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