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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer
Autoren: L Olsson
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    Es war Donnerstag, und ich machte Suppe, eine feste Gewohnheit mittlerweile, griechische Fischsuppe diese Woche. Das Gemüse kochte, und der Dampf schlug sich auf dem Fenster über der Spüle nieder. Die Küche bot einen ungehinderten Blick auf den Strand und das endlose Meer, das in diesem Moment nur eine grau verschwommene Fläche hinter der beschlagenen Scheibe war. Ich hatte die Fische ausgenommen, drei kleine Snapper, und bereitete jetzt die Avgolemono zu, eine Ei-Zitronen-Sauce. Die Früchte sahen schrumpelig aus, aber als ich sie aufschnitt, erfüllte ihr Duft den ganzen Raum. Mir kam es so vor, als ob die Zitronen vom Baum hinter dem Haus intensiver schmeckten und rochen als alle, die ich je irgendwo genossen hatte. Ich schlug das Eiweiß, rührte das Eigelb hinein und fügte dann den Zitronensaft hinzu. Ich hackte die Petersilie, und alles war vorbereitet. Jetzt musste nur noch das Gemüse weich gegart, der Fisch hinzugegeben und in letzter Minute Avgolemono und Petersilie untergehoben werden. Mir blieb also noch Zeit, mich für ein Weilchen draußen auf die Türstufe zu setzen. Ich hatte zwar eine Hängematte und ein paar Rattanstühle auf der Terrasse, doch die nutzte ich selten. Ich zog die Stufe vor.
    »Marianne«, sagte ich vor mich hin. »Marianne.«
    Neuerdings hatte ich ständig das Bedürfnis, mir den Namen auf der Zunge zergehen zu lassen. Ihm zu lauschen. Ihn mir ins Gedächtnis zu rufen. Er klang nach wie vor fremdartig – als gehörte er nicht richtig zu mir. Oder vielleicht doch, war aber einer anderen Zeit, einem fernen, verschlossenen Raum zugeordnet. Ich hatte mir angewöhnt, ihn mehrmals täglich auszuprobieren. Ich konnte mich nicht recht erinnern, wann ich damit angefangen hatte, doch es war schon eine Weile her. Ich fragte mich, wie das wohl auf andere wirken mochte: eine Frau mittleren Alters, die auf der Türstufe ihres Hauses sitzt und sich immer wieder ihren eigenen Namen vorsagt. Aber es war niemand in der Nähe. Nur Kasper, mein rot-brauner Kater; seine träge blinzelnden grünen Augen blickten, als hätten sie alles gesehen, alles akzeptiert. Er setzte sich neben mich, nahe, doch nicht zu nahe, er blieb in seiner eigenen Sphäre. Wie wir es beide gern haben, dachte ich. Seite an Seite, aber jeder für sich. Wie immer saß er ruhig und geduldig da, während ich meine merkwürdigen Übungen absolvierte. Oder wie auch immer man es nennen wollte.
    »Marianne«, wiederholte ich. Es war seltsam zu spüren, wie mein Körper auf den Namen reagierte. Nach all den Jahren.
    Er fühlte sich heiß an. Seine Farbe war Rot, und er brannte auf meiner Zunge, bevor er wie eine Flamme aus meinem Mund aufstieg.
    Marion dagegen perlte hellblau, fast grau von meinen Lippen. Blass und kühl. Und zerfloss sofort.
    Marion.
    Marianne.
    Ich erhob mich und ging über die Terrasse die Treppe hinunter zum Strand. Das trockene Gras in den Dünen raschelte im leichten Wind. Ich drehte mich um und sah einen Moment lang auf mein Haus. Das kleine Gebäude aus Holzschindeln war ein fester Bestandteil meines Lebens geworden, gehörte zu mir wie mein Körper, und ich betrachtete es selten bewusst. Ich trat ein paar Schritte zurück und schaute es an, wie es da so vor mir stand. Im Haus und davor, überall war Sand. Er störte mich nicht mehr, und ich hatte längst alle Versuche aufgegeben, ihn von den Fußböden fernzuhalten. Ich verbrachte den größten Teil meiner Zeit im Freien, und mir gefiel der Gedanke, dass der Unterschied zwischen Drinnen und Draußen zusehends verschwamm. Es war, als ob sich das Haus mit allem, was es enthielt, langsam zersetzte und irgendwann eins werden würde mit der Erde unter ihm. Inzwischen ging ich barfuß hinein, ohne mir die Füße abzuwischen. Ich hatte lange gebraucht, um dieses Stadium zu erreichen.
    Ich wusste, die meisten Leute würden sagen, das Haus benötige einen Anstrich. Aber ich mochte es, wie es war, blank poliert vom Wind und Salz der See, von einem sanften Grau, das in manchem Licht silbrig schimmerte, und die Schindeln fühlten sich glatt und weich an.
    »Direkt am Strand« hatte es in der Broschüre geheißen, damals ein Verkaufsargument. Heute nicht mehr, nahm ich an. Zumindest nicht an dieser Küste mit den welligen und flachen Dünen, kaum höher als die Oberfläche des Meeres. Der Ausblick war natürlich gleich geblieben. Unmöglich zu ignorieren, auch nach all den Jahren. Das unendliche Meer, dessen Farbe und Charakter sich von einem Moment zum nächsten
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