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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
Autoren: Sara Gruen
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vergingen wie im Flug. Gerade noch steckten Marlena und ich
bis über beide Ohren im Trubel, und auf einmal liehen sich die Kinder den Wagen
und zogen ab ins College. Und jetzt sitze ich hier. Über neunzig und alleine.
    Der gute Charlie interessiert sich tatsächlich für meine Geschichte.
Er nimmt die Flasche und beugt sich vor. Als ich ihm mein Glas hinschiebe,
klopft es an der Tür. Ich reiße die Hand zurück, als hätte ich mich verbrüht.
    Charlie rutscht aus der Bank, beugt sich zum Fenster und zieht mit
zwei Fingern den karierten Vorhang zur Seite.
    »Scheiße«, sagt er. »Die Bullen. Was die wohl wollen?«
    »Die sind meinetwegen hier.«
    Er sieht mich scharf an. »Was?«
    »Die sind meinetwegen hier.« Ich versuche, seinem Blick
standzuhalten. Das ist nicht leicht – seit einer Gehirnerschütterung vor
langer, langer Zeit habe ich einen Nystagmus. Je mehr ich versuche, jemanden zu
fixieren, desto mehr zittern meine Augen.
    Charlie lässt die Gardine fallen und geht zur Tür.
    »Guten Abend«, sagt eine tiefe Stimme. »Ich suche einen Charlie
O’Brien. Man sagte mir, ich könnte ihn hier finden.«
    »Das können Sie und das haben Sie. Was kann ich für Sie tun,
Officer?«
    »Ich habe gehofft, Sie könnten uns helfen. Ein älterer Mann ist aus
dem Pflegeheim unten an der Straße verschwunden. Das Personal glaubt offenbar,
er könnte hier stecken.«
    »Würde mich nicht überraschen. Menschen in jedem Alter mögen den
Zirkus.«
    »Klar. Sicher. Es ist so, der alte Knabe ist dreiundneunzig und
ziemlich schwächlich. Sie haben gehofft, er würde nach der Vorstellung von
alleine zurückkommen, aber das ist jetzt ein paar Stunden her, und er ist immer
noch nicht wieder aufgetaucht. Sie machen sich große Sorgen um ihn.«
    Charlie blinzelt den Polizisten freundlich an. »Selbst wenn er hier
war, dürfte er längst wieder weg sein. Wir wollen bald aufbrechen.«
    »Haben Sie heute Abend jemanden gesehen, auf den diese Beschreibung
zutrifft?«
    »Klar. Einige. Viele Familien haben ihre alten Leutchen hierin
mitgenommen.«
    »Und einen alten Mann, der alleine war?«
    »Ist mir nicht aufgefallen, aber hier kommen auch so viele Leute
hin, dass ich nach einer Weile einfach abschalte.«
    Der Polizist streckt den Kopf in den Wohnwagen. Als er mich
entdeckt, blitzen seine Augen interessiert auf. »Wer ist das?«
    »Wer – er?«, fragt Charlie mit einem Wink in meine Richtung.
    »Ja.«
    »Das ist mein Vater.«
    »Darf ich kurz reinkommen?«
    Nach einem winzigen Zögern tritt Charlie beiseite. »Natürlich, nur
zu.«
    Der Polizist steigt in den Wohnwagen. Er ist so groß, dass er sich
bücken muss. Er hat ein ausladendes Kinn, eine auffallende Hakennase und seine
Augen stehen zu eng beieinander – wie bei einem Orang-Utan. »Wie geht es Ihnen,
Sir?«, fragt er und kommt näher. Er hockt sich hin und mustert mich aufmerksam.
    Charlie wirft mir einen Blick zu. »Dad kann nicht sprechen. Er hatte
vor ein paar Jahren einen schweren Schlaganfall.«
    »Wäre er zu Hause nicht besser aufgehoben?«, fragt der Officer.
    »Das hier ist sein Zuhause.«
    Ich öffne den Mund und lasse das Kinn beben. Dann strecke ich eine
zittrige Hand nach meinem Glas aus, das ich fast umwerfe. Nur fast, denn es
wäre eine Schande, so guten Scotch zu verschwenden.
    »Warte, Paps, ich helfe dir«, sagt Charlie und eilt an meine Seite.
Er setzt sich neben mich auf die Bank und nimmt mein Glas. Dann hält er es mir
an die Lippen.
    Wie ein Papagei strecke ich die Zunge heraus, bis sie an die
Eiswürfel stößt, die auf meinen Mund zurutschen.
    Der Polizist sieht uns zu. Ich blicke ihn nicht direkt an, sehe ihn
aber aus den Augenwinkeln.
    Charlie stellt mein Glas ab und sieht ihn seelenruhig an.
    Der Polizist mustert uns, dann blickt er sich mit
zusammengekniffenen Augen um. Charlies Miene ist vollkommen ausdruckslos, und
ich tue mein Bestes, um zu sabbern.
    Schließlich tippt der Polizist an seine Mütze. »Vielen Dank, die
Herren. Wenn Sie etwas sehen oder hören, lassen Sie es uns bitte gleich wissen.
Der alte Knabe ist nicht in der Verfassung, alleine unterwegs zu sein.«
    »Das mache ich bestimmt«, sagt Charlie. »Sehen Sie sich ruhig auf
dem Zirkusplatz um. Ich lasse meine Jungs nach ihm Ausschau halten. Es wäre
wirklich schrecklich, wenn ihm etwas zustoßen würde.«
    »Hier ist meine Nummer«, sagt der Polizist und reicht Charlie eine
Karte. »Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas hören.«
    »Auf jeden Fall.«
    Der Polizist lässt noch einmal den
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