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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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die Olympiaschwimmhalle. Der Vater hinterher, und ohne zu zögern drückt Deine Mutter einer von den Hostessen ihre kleine Kamera in die Hand und stellt sich mit dem Vater vor dem Eingang der Olympiaschwimmhalleauf und schon ist das Foto im Kasten und sie bedankt sich bei der jungen Frau, beglückwünscht sie zu ihrem hellblauen Dirndl, greift sich ihre Handtasche, die sie neben die Frau auf den Boden gestellt hat, lässt die Kamera in der Handtasche verschwinden und zieht den Vater in die schwüle Schwimmhalle. Als sie auf den giftgrünen Plastikschalen sitzen, schießt dem Vater der Schweiß aus den Poren. Deine Mutter schaut aufgeregt nach unten, um einen ihrer Schwimmhelden auszumachen. Da sind die Russen, ruft sie, da. Der Vater schaut wiederwillig an der Linie ihres ausgestreckten Zeigefingers entlang. Es ist laut in der Halle. Man muss schreien, wenn man sich verständigen will. Und dann ist es so weit. Zweihundert Meter Kraulen der Männer. Endlauf. Mark Spitz, schreit Deine Mutter, die Leute vor ihr drehen sich um und schauen sie an, als hätten sie es mit einer Geistesgestörten zu tun. Der hat schon zwei Goldmedaillen geholt, informiert sie den Vater. Dann ist Stille in der Halle. Alle schauen auf den haarigen Mann mit diesem riesigen Schnauzbart und der Stars-and-Stripes-Badehose. Deine Mutter muss weinen. Du hast es geschafft, flüstert der Vater ihr ins Ohr. Du hast es geschafft, Du hast Deinen Traum wahr gemacht, du bist im Westen. Und jetzt siehst Du diese Schwimmer und dieser Spitz wird es den Russen zeigen. Da bin ich sicher. Und Mark Spitz hat sie nicht enttäuscht. Unter dem Geschrei der anwesenden Zuschauer holt er in 1:52,78 Minuten seine dritte Goldmedaille. Selbst der Vater ist von seinem Sitz aufgesprungen undmuss aufpassen, dass er nicht nach vorne über die steilen Ränge hinabstürzt. Nach drei Stunden im tropischen Klima unter dem luftdichten Zeltdach der Olympiaschwimmhalle beschließen sie, mit der neuen U-Bahn wieder zurück in die Stadt zu fahren. Beide wissen, dass sie sich morgen früh trennen müssen. Der Vater beschließt vermutlich, das Gespräch über die Zukunft auf ihr nächstes Treffen zu verschieben, und Deine Mutter ist unschlüssig, ob sie eine Trennung inszenieren soll oder ob sie einfach verschwindet und sich nie mehr bei ihm meldet.
    Das auf Vibration geschaltete Handy hüpft von der Fensterbank auf den abgewetzten Teppichboden des Zimmers meiner Wiener Pension. Ich stehe auf und sehe, dass es Holger ist. Ich nehme das Telefon und gehe dran. Ob ich schon im Zug sitze, will Holger wissen. Nein, sage ich. Noch nicht. Er will wissen, wann ich komme. Seine Stimme hört sich klar an. Freudig. Holger, sage ich, ich vermisse dich. Dann komm endlich nach Hause, sagt er. Vielleicht wird es später, antworte ich ihm. Er sagt nichts. Ich sage, dass ich noch eine Verabredung habe mit einer alten Schulfreundin des Vaters, die habe sich gestern am Abend unerwartet gemeldet, ich könne nicht sagen, wie lange das dauert. Danach, verspreche ich, setze ich mich sofort in den Zug. Ich sage Holger, dass ich sehr viel über den Vater erfahren hätte, dass ich Dir, dem halben Bruder, jetzt endlich mehr sagen könne. Ich bin erleichtert, sageich. Diese Regisseurin hat schon mindestens zehn Mal hier angerufen, stöhnt Holger. Sie sagt, sie erreicht dich nicht. Was ist los? Die soll mich in Ruhe lassen, morgen sehe ich sie doch sowieso. Es klopft an meiner Zimmertür. Ich sage Holger, dass ich jetzt auflegen muss. Er sagt: Ich warte auf dich. Die Wirtin. Ihr Freund Huemer sei zu Besuch, ob er nach mir sehen solle, jetzt, da er sowieso zugegen sei. Ich schiebe die Alte aus meinem Zimmer. Nein, sage ich, nein, ich reise ab. Bitte bereiten Sie die Rechnung vor. Die Wirtin geht Richtung Treppe. Nach ein paar Stufen dreht sie sich wieder zu mir um: Kind, wie ich dich beneide!
    Ich packe meine Sachen zusammen und stopfe alles in den Rollkoffer. Das Foto vom Vater und Deiner Mutter lege ich zwischen die Kleider. Die Zettel der Wirtin lasse ich auf dem Boden liegen. Valons Nachricht falte ich zusammen und lege sie in mein Portemonnaie. Vielleicht sehe ich ihn nie wieder. Er weiß nichts von meiner Schwangerschaft. Wenn ich ihn nicht suche, dann sehe ich ihn nicht wieder.
Er
wird mich jedenfalls nicht suchen, nicht Valon. Das kann ich mir nicht vorstellen. Holger wird sich freuen über meine Schwangerschaft. Das weiß ich. Wenn ich an ihn denke, dann kommt kein Sturm auf. Holger beruhigt mich. Ich mag
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