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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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Obwohl ich das Land nie kennengelernt hatte, stellte ich mir alles sehr langsam vor. Und echt. Ja, echt. Als ich auf dem Weg ein paar Blumen für den Patienten Hofffmann kaufen wollte, kamen mir die angebotenen Pflanzen auf einmal alt und schäbig vor. Die Blumen ließen entweder die Köpfe schon hängen oder die Farben waren unverschämt blass. Die Verkäuferin demonstrierte schlechte Laune und es kam mir vor, als hätte sie sich über meine Entscheidung, nichts bei ihr zu kaufen, klamm heimlich gefreut, weil meine Ablehnung ihres Angebots sie in ihrer Stimmung bestätigte. Ein paar Tage zuvor hätte ich ihr Verhalten und die halb verrotteten Blumen anachronistisch schick gefunden. Muss nicht immer alles Hochglanz sein, hätte ich gedacht. Jetzt kam es mir einfach nur verrottet und lieblos vor. Mir wurde klar, dass es nichts mehr herauszufinden gab. Weder über den Vater noch über Deine Mutter. Zwar war längst nicht geklärt, wie die Trennung der beiden vor sich gegangen war, ob der Vater Deine Mutter vertrieben oder ob Deine Mutter den Vater hat sitzen lassen oder ob es eine gemeinsameEntscheidung gewesen war. Es spielte auf einmal keine Rolle mehr für mich. Nach dem Besuch in diesem Dom durchströmte mich eine rätselhafte Klarheit. So als hätte mich die Überfülle an Hinweisen, Fährten und Bezügen davon befreit, nach der Wahrheit über den Vater zu forschen. Alles war Spekulation. Alles. Sogar die Suche nach dieser Wahrheit war ein Stochern im Erfundenen, im Verfälschten, im Vergessenen. Die einzige Quelle, die es wirklich gab: das Hörensagen. Mit dieser Erkenntnis bog ich aus der Gartenstraße in die Friedrich-Nietzsche- Straße ein (»Die Nähe zur Klinik ist der reine Zufall. Das macht es so beunruhigend.«), und als ich zwei Minuten später das alte Krankenhausgebäude betrat, freute ich mich auf Hofffmann, meinen Helden des Ungefähren. Sie hatten ihn mittlerweile in die Psychiatrische Abteilung verlegt, weil die Ärzte hofften, ihn gleich im Anschluss an seine körperliche Genesung suchttherapeutisch weiterbehandeln zu können. (»Der Teil des Menschen, der kein Körper sein soll, die Seele, ist wahrscheinlich der stofflichste. Deshalb auch der komplizierteste. Weil er sich selbst verschleiert. Die Angst vor dem Schleier heißt auf Deutsch: Heimatlosigkeit.«)
    Hofffmanns Zimmer war leer. Das Bett abgezogen. Erst dachte ich an einen seiner geschmacklosen Scherze. Aber dann sank mir das Blut aus dem Kopf durch die Brust in die Beine. Als ich wieder aufwachte, beugte sich gerade die junge Ärztin, die ich kennengelernt hatte, als Hofffmann eingeliefert worden war, über mich und leuchtetein meine Augen. Ich richtete mich sofort auf. Ich war noch in Hofffmanns Krankenzimmer. Es ging schnell, wir konnten nichts machen, sagte die Ärztin betont kühl. Ich begriff erst nicht, wovon sie sprach. Wir hatten keine Telefonnummer von Ihnen, deshalb konnten wir Sie nicht benachrichtigen. Seine Organe waren geschwächt. Sie hatten dem unerwarteten Bakterienbefall nichts mehr entgegenzusetzen. Selbst das stärkste Antibiotikum vermochte ihm nicht mehr zu helfen. Nierenversagen. Leberversagen. Lungenentzündung. Es sei in der Nacht losgegangen und habe sich in den Morgenstunden derart verschlechtert, dass er auf die Intensivstation verlegt worden sei. Zu spät. Sie hätten die Situation wohl unterschätzt, der neuerliche Rückfall habe die Organe nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Selbst das beste Penicillin der Welt habe der relativ gewöhnlichen, bakteriellen Entzündung nichts mehr entgegensetzen können. Die Substanz war angegriffen, sagte die Ärztin und wurde rot.
    Ich dachte an den Vater. Als Junge hatte er den Plan, auf dem Dachboden in N. sitzend, ein Medikament zu erfinden, das alle Krankheiten dieser Welt heilen sollte. Das war sein Traum.
    Es gibt keine Beerdigung. Hofffmann hat ein Testament hinterlassen, in dem er eine anonyme und möglichst menschenfreie Beisetzung wünschte. RICO könne niemandem mehr zugemutet werden, außerdem sei er ein Überbleibsel aus einer Zeit, die längst vergangen sei, deshalb sei er im örtlichen Tierheim
Hasenglück
zu belassen.Das nötige Geld für seine angemessene Versorgung befinde sich in der Wohnung unter einer bestimmten Küchendiele, dort wo RICOs Fressnapf gestanden habe. Hofffmann habe sein Testament am vorletzten Tag seines Krankenhausaufenthaltes aktualisiert, sagte der Notar, der mir Hofffmanns Wunsch, dass ich das Geld an das Tierheim zu übergeben
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