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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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habe, gelangweilt überbrachte.
    Der Vater hätte gesagt: Popanz.
    Bevor ich am nächsten Tag abgereist bin, hierher nach Wien, in die Pension, bin ich zuerst in Hofffmanns Wohnung und habe das Geld unter den Dielen herausgezogen. Eigentlich wollte ich Hofffmann an diesem Morgen sagen, dass ich mir eine Wohnung in N. suchen wollte.
    Hans und Franz haben sich über das Geld gefreut. Ihr Tierheim war in einem miserablen Zustand. RICO war guter Dinge. Er erkannte mich, wedelte mit dem Schwanz und dreht sich dann weg. So als wollte er sagen: Danke, aber jetzt reicht’s. Hier fühle ich mich wohler. Unter meinesgleichen. Auf dem Weg zum Bahnhof bin ich noch mal in das Café gegangen, in dem ich Hofffmann kurz nach meiner Ankunft in N. kennengelernt hatte. Die blonde Bedienung war gerade dabei, die Tische abzuwischen. Als sie mich sah, versuchte sie zu lächeln. Es gelang ihr aber nicht. Ihre Augen waren rot. Sie wisse schon Bescheid, in N. spreche sich alles schnell herum. Es hätte so kommen müssen, sagte sie. Wer hat ihm den Alkohol verkauft?, fragte sie. Der sei sein Mörder. Ich versuchte, irgendetwas von tiefer liegenden Gründen zu faseln, von der Sucht imAllgemeinen und der Kompliziertheit dieser Krankheit, und merkte auf einmal, dass ich das gar nicht war, die da sprach. Ich glaubte gar nicht mehr an meine Wahrheiten über diese Krankheit. Ich beendete meinen Sermon mitten im Satz und nahm die junge Frau einfach in den Arm. Wir mussten beide heulen. Hofffmann habe ihr sein Taxi vermacht, schluchzte sie in meine Schulter. Er habe seinen Tod vorausgesehen. Auf dem Rücksitz des Wagens habe eine frische Lilie gelegen. Sie wisse gar nicht, was sie mit der alten Kiste anfangen solle. Stell sie doch am Bahnhof ab, als Denkmal, schlug ich ihr vor. Sie lachte. Und fand die Idee gut. Wir verabschiedeten uns. Als ich das Lokal wieder verließ, kamen die ersten Touristen und setzten sich draußen unter die Schirme.
    Die Zugfahrt nach Wien dauerte fast neun Stunden und führte über Nürnberg, ohne Halt in München. Nach Pristina gibt es Flugverbindungen auch von München, von Düsseldorf. Aber in Wien wollte ich unbedingt noch ein paar Tage bleiben. Nachdenken. Und schreiben. Dir schreiben. Mein Sommer in N. Ich habe fast die ganze Zugfahrt auf das Foto gestarrt. Jetzt hängt es hier an der Wand, über dem fremden Schreibtisch, an dem ich sitze. Manchmal sieht der Vater traurig aus auf dem Bild. Und Deine Mutter? Sie schaut mich an, als wollte sie sagen, ist doch alles halb so tragisch. Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Ich würde Valon gerne erzählen, was mit Hofffmann passiert ist. Er hat mal gesagt, er sei Experte fürs Sterben. Vielleicht könnte er mir helfen.
    Ich frage mich, ob das der letzte gemeinsame Tag war, den der Vater und Deine Mutter da in München verbracht haben. Ich versuche mir vorzustellen, wie der Vater zu seinem Vorgesetzten in der Militärakademie geht, um drei Tage Urlaub zu beantragen. Er weiß, dass er diese Frau treffen muss. Er weiß, dass er sich eine gute Ausrede ausdenken muss. Für den Antrag und für seine Frau. Seiner Frau kann er sagen: Dienstreise. Dem Vorgesetzten kann er sagen: Familienangelegenheit. Er ist erleichtert, als er wieder in sein Dienstzimmer kommt. Er legt den bewilligten Urlaubsschein auf seinen leeren Schreibtisch und zündet sich eine Lux an. Er legt die Füße mit den Stiefeln auf die Tischplatte. Er denkt an Deine Mutter, an das Postfach, das er eingerichtet hat, um ihre Nachrichten zu bekommen. München, hat sie geschrieben. Olympische Spiele. Träume soll man sich erfüllen. Er denkt wahrscheinlich an das Schwimmbad in N., wo er auf dem Rasen saß und zusah, wie sie ihre Bahnen zog und anschließend erschöpft zu ihm kam und ihre langen, dunklen Haare über ihm ausschüttelte. Er fragt sich, warum sie eigentlich ihre Haare gefärbt hat, jetzt, wo sie im Westen ist. Die Zigarette beruhigt ihn für einen kurzen Augenblick, aber dann fängt es wieder an, in seinem Bauch zu rumoren, diese Unruhe, diese Mischung aus Freude und Angst, die in ihm, gegen ihn, arbeitet. Der Fisch mit den scharfen Zähnen. Er fragt sich, wie dieser Fisch in seinen Bauch gelangen konnte. Er stellt sich ans Fenster und schaut in den Hof der Militärakademie und denkt an seine Frau, dieMutter seiner Kinder, an seinen Sohn, der immer schon schläft, wenn er aus der Kaserne nach Hause kommt, an seine kranke Tochter, die so viel schreit und seiner Frau alle Energie aus den Gliedern saugt,
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