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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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abgestiegen?«
    »Aber Schätzchen.« Georg amüsiert sich. »Das hat Köhler doch
verhindert.« Stimmt, bin ja wieder im alten Leben. Wird wohl noch eine Weile
dauern, bis ich das Durcheinander in meinem Kopf wieder sortiert habe.
    »Hallo?« ruft ein Quengler von Tisch neun. »Ich will ja nicht eure
private Unterhaltung stören, aber wir hätten jetzt gern was zu trinken …«
    »Moment«, ruft Georg aufbrausend. »Wir reden hier von St.   Pauli, das
ist keine Privatsache! Das ist eine Frage von nationaler Bedeutung!«
    »Oh, ja, sorry.« Geht doch, sofort ist an Tisch neun wieder Ruhe.
Trotzdem gehe ich zum Tresen und mache die Bestellung fertig, immerhin bin ich
ja hier, um den Leuten Drinks & More zu servieren. Und um mich nebenbei mit
meinen beiden Freunden zu unterhalten, die mir in meiner Zeit als Frau
Lichtenberg mehr gefehlt haben, als ich je gedacht hätte. Komisch eigentlich.
Bevor ich bei New Life war, hätte ich wahrscheinlich gesagt, daß die Arbeit im
Drinks & More nur ein Job ist. Aber heute sehe ich das ganz anders.
    In den nächsten Wochen pendelt sich wieder alles bei Normalnull ein.
Bis auf einmal pro Woche gehe ich täglich arbeiten, und schon nach wenigen
Tagen kommt es mir so vor, als hätte ich die Sache mit Moritz und der Hochzeit
nur geträumt. Habe ich ja vielleicht auch, wer weiß das schon so genau. Meine
Eltern kommen mich ein paarmal im Drinks & More besuchen, und einmal taucht
sogar Heike auf, um mir zu sagen, wie gemein sie es fand, daß Moritz mich auf
dem Klassentreffen so ausgenutzt hat. Wir haben uns dann für einen gemeinsamen
Abend verabredet, zu dem ich ihr meinen Catsuit leihen werde. Ich habe mein
Freundschafts-Versprechen nicht vergessen.
    Eigentlich ist also alles wieder so, wie es sein soll. Sogar besser:
Ein paar Tage nachdem ich bei Julie geklingelt habe, steht sie vor meiner Tür
und fragt mich, ob ich Lust hätte, mit ihr einen Kaffee zu trinken. Zwar war es
nur ein sehr kurzer Kaffee, aber ich glaube, wir befinden uns auf einem Weg,
der uns irgendwann wieder zusammenführt.
    Und doch. Und doch fehlt etwas, denke ich, als ich eines Samstags im
Drinks & More die Tische abwische, bevor der große Ansturm kommt. Aber ich
weiß nicht, was. Mich läßt das Gefühl nicht los, daß da irgend etwas in mir
ist, eine Sehnsucht, ein … ich kann es nicht benennen, aber es ist anders als
das Gefühl, das ich früher hatte. Konkreter.
    »Was hast du denn?« Georg sitzt an seinem Tisch, legt seine Stirn in
Falten und betrachtet mich besorgt. Tim ist gerade draußen und kämpft mit den
übervollen Müllcontainern.
    »Wie kommst du darauf, daß ich was habe?«
    »Du wischst zeit zehn Minuten denselben Tisch ab.«
    »Oh.« Ich halte in meiner Bewegung inne, zögere kurz und gehe dann
zum nächsten Tisch weiter.
    »Willst du es mir nicht sagen?« Wie soll ich es ihm denn sagen? Dazu
müßte ich ihm die ganze Geschichte erzählen, und die ist ja mehr als verrückt.
Selbst für jemanden wie Georg, dem ich zutraue, daß er schon so einiges gehört
und gesehen hat. Ich schüttele den Kopf.
    Georg zündet sich eine Zigarette an und hält die Schachtel dann mir
hin. Dankbar nehme ich eine Kippe und setze mich zu ihm. Eine Weile sitzen wir
beide nur so da, rauchen und blasen kleine Wölkchen in die Luft.
    »Wie soll ich es beschreiben?« fange ich schließlich an. »Ich habe
das Gefühl, mir fehlt etwas.« Georg nickt.
    »Ich weiß.«
    »Du weißt?« Georg lacht leise. Dann nimmt er meine Hand, hält sie
ein paar Sekunden ganz fest und sieht mir dann unverwandt in die Augen.
    »Manche Dinge liegen so direkt vor unserer Nase, daß wir sie nicht
einmal erkennen, wenn wir über sie stolpern.« Er zieht ein letztes Mal an
seiner Zigarette, dann drückt er sie im Aschenbecher aus und nimmt noch einen
Schluck von seinem kalten Kaffee. Ich versuche derweil, mir einen Reim darauf
zu machen, was Georg mit dieser kryptischen Bemerkung meinen könnte. Die Dinge,
die direkt vor unserer Nase liegen?
    Ich lasse meine Augen durchs Drinks & More wandern, vorbei an
den alten Reklametafeln aus Emaille, der Jukebox, dem Flipperautomaten, der
Garderobe, an der im Moment nur Georgs Cordjackett, meine Jacke und Tims
komischer Mantel hängen, der Tresen mit seinem … Tims Mantel! Wie bescheuert
kann man eigentlich sein?
    »Danke, Georg!« Ich strahle ihn an, drücke noch einmal seine Hand,
bevor ich aufspringe, meine Jacke von der Garderobe reiße und hinausstürme. Im
Eingang knalle ich mit Tim zusammen,
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