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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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liebsten würde ich den Film jetzt anhalten, stoppen, löschen, die CD wegwerfen, aber ich muß da wohl durch.
    Tim sitzt immer noch regungslos auf dem Bett, als würden meine Worte
noch in seinen Ohren nachhallen. Wencke Myhre singt ausgerechnet an dieser
Stelle »Jemand wartet schon auf dich«, mal wieder alles mehr als passend. Als
das Lied vorbei ist, steht Tim auf, nimmt seinen Mantel und zieht ihn an.
    »Versteck dich ruhig hinter deinen Songs und deinen kindischen
Träumereien«, sagt er, bevor er aus dem Zimmer geht. »Ein echtes Gefühl würdest
du doch gar nicht aushalten.« Dann zieht er die Tür hinter sich ins Schloß, der
Film ist vorbei. Im Kino würde ich jetzt applaudieren. Aber tragischerweise war
das gerade eine Vorstellung aus meinem eigenen Leben. Wie blöd kann man
eigentlich sein?
    Ein großes Schamgefühl macht sich in mir breit. Aber zugleich spüre
ich so etwas wie Freude. Freude darüber, daß Tim so viel für mich empfindet. So
viel, daß er dieses Erlebnis hat löschen lassen. Kein Wunder, daß er am
nächsten Tag so unfreundlich zu mir war, nachdem ich so auf ihm herumgetrampelt
bin. Ich nehme die CD aus dem Abspielgerät. Da
bleibt wohl nur noch eine Sache zu tun.
    »Ich hab hier was für dich«, sage ich, als ich wieder ins Drinks
& More komme, und werfe Tim die CD auf den
Tresen. Er nimmt sie in die Hand, liest die Aufschrift und sieht mich
verständnislos an.
    »Woher hast du …?«
    »Die Visitenkarte.«
    Tim fummelt verlegen an der CD -Hülle
rum.
    »Charly, ich … das …« Er ringt mit den Worten. Ich nehme ihm die CD wieder ab.
    »Du hast mir nie erzählt, daß du mit vollem Namen Timothy heißt.«
Wortlos stehen wir uns gegenüber, und ich frage mich, was in diesem Augenblick
in seinem Kopf vorgeht. Vermutlich dasselbe wie in meinem: totales Chaos.
    Für ihn liegen ja zwischen dem Moment, als ich mit seiner
Visitenkarte aus dem Laden gerauscht, und dem, als ich wieder ganz normal
zurückgekommen bin, nur zwei Tage, er hat keine Ahnung, was in meinem anderen
Leben alles passiert ist, was wir gemeinsam erlebt haben. Und daß ich mich
verändert habe. Daß ich endlich weiß, was ich will: ihn. Und mein Leben ganz
genau so leben will, wie es mir gefällt. Aber wie
soll ich das Tim erklären?
    Ach, was soll auch das ganze Gerede? Wird eh zu viel gelabert auf
der Welt! Ich nehme all meinen Mut zusammen und küsse ihn direkt auf den Mund,
ganz schnell. Aber Tim hält mich einfach fest, legt seine Arme um mich und
erwidert meinen Kuß. Mein Herz bubbert so laut, als wäre es der erste Kuß
meines Leben. Und das ist er vielleicht auch, der erste, der wirklich zählt.
Bis heute hat noch nie jemand wirklich Charly geküßt. Nach etwa zwei, drei
Minuten wird es um uns herum ziemlich unruhig, hier und da hört man ein
verhaltenes Kichern, ein paar Leute fangen an zu klatschen. Richtig, wir sind
ja gar nicht allein, sondern stehen mitten im Drinks & More. Aber Tim
scheint das ähnlich egal zu sein wie mir.
    »Du hast mich auch nie nach meinem vollständigen Vornamen gefragt«,
stellt er fest, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst habe. Noch einen Moment
stehen wir voreinander und lächeln uns unbeholfen an wie zwei Teenager. »First
Time«, Robin Beck.
    »Und jetzt hau mal einen Schlag rein«, bricht Tim schließlich das
Schweigen. »Tisch sechs wartet schon ewig auf seine Bestellung, ich kann den
Laden hier echt nicht allein schmeißen.« Gehorsam stelle ich mich hinter die
Bar, um die Getränke vorzubereiten. Als ich kurz vom Zapfhahn aufblicke, sehe
ich gerade noch, wie Georg sich heimlich, still und leise nach draußen stiehlt.
In der Tür dreht er sich noch einmal um und zwinkert mir zu. Dann ist er auch
schon verschwunden. Keine Ahnung, warum, aber auf einmal bin ich mir ganz
sicher: Wir werden ihn nicht mehr wiedersehen.
    »Charlotta Maybach«, ruft Tim, »wird’s denn heute noch was?« Ich
strecke ihm die Zunge raus. Dann drehe ich mich zur Stereoanlage hinter mir im
Regal um, nehme die CD heraus, die gerade läuft,
und lege eine andere ein. »Don’t let me get me«, singt Pink, »I wanna be
somebody else«. Und ich denke: Wie unrecht sie doch hat.
    Ich schnappe mir das volle Tablett und befördere es rüber zu den nölenden
Gästen an Tisch sechs. Timothy und Charlotta. Tim und Charly. Wenigstens heiße
ich nicht Struppi.

Was? Wäre? Wenn? –
Der Soundtrack zum Buch
    Zum Selberbasteln und Nachspielen
    Mitgewirkt haben, in der Reihenfolge ihres Auftretens:
    Pink: Don’t
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