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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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nicht zueinander, die akademische Laufbahn
und ich.
    Wesentlich besser mache ich mich da schon im Drinks & More. So
heißt die Kneipe, in der ich seit sieben Jahren kellnere. Ursprünglich war das
nur als Nebenjob gedacht, aber mittlerweile gehöre ich quasi zum Inventar. An
einem Samstagnachmittag hatte ich im Fenster den Aushang entdeckt, daß sie eine
Aushilfe suchen, und mich bei Tim, dem Besitzer und mittlerweile meinem besten
Freund, vorgestellt. Anfangs arbeitete ich dienstags, dann irgendwann auch
freitags – tja, und jetzt serviere ich täglich von drei bis zum frühen Morgen
drinks & more. Wobei »more« ein relativ dehnbarer Begriff ist, kommt ganz
auf Tims Lust und Laune an: Mal ist das eine Hühnersuppe aus der Dose, dann
wieder stellt er sich in die Küche und entwickelt die wildesten
Eigenkreationen.
    »The way I am« dröhnt Eminem aus dem Radio, während ich von der
Dusche aus Richtung Kleiderschrank rappe. Wie bin ich denn heute? Wild und
gefährlich? Jung und dynamisch? Sexy und verführerisch? Bei dem Gedanken an die
vergangene Nacht entscheide ich mich für sexy und zerre ein schwarzes T-Shirt
mit der Aufschrift »Schlampe« aus dem Schrank. Ich weiß, lacht heute kein
Mensch mehr drüber, aber als ich es vor drei Jahren an einem türkischen
Grabbelstand entdeckte, war ich damit eine echte Sensation. Alle anderen hatten
zu der Zeit Shirts mit »Zicke« oder »Hexe«, wie langweilig. Schlampe, das hat doch
Gesicht! Dazu noch meine Lieblingsjeans, Sneakers, fertig. Ich gucke auf die
Uhr, halb drei, ich sollte einen Zacken zulegen. In der Küche – eigentlich mehr
eine Kochgelegenheit zwischen Wohnzimmer und Flur – haue ich mir schnell noch
ein paar Fischstäbchen in die Pfanne. Fischstäbchen sind nämlich gut für die
Seele.
    Um sieben Minuten vor drei greife ich Tasche, Jacke, Discman und
stürze aus der Tür. Im Treppenhaus falle ich fast über meine Nachbarin Julie,
die gerade zwei riesige Aldi-Tüten hochwuchtet.
    »Hallo Julie«, rufe ich im Vorbeilaufen. Wie immer antwortet sie mir
nicht und guckt angestrengt auf den Boden, aber das ist eine andere Geschichte
für einen späteren Zeitpunkt. Draußen schließe ich mein Mountainbike auf,
schwinge mich auf den Sattel und trete zu »Clubbed to death« in die Pedale. Der
vierte Song auf dem Soundtrack zu »The Matrix«. Matrix härtet ab für den Tag.
Und das kann ich nach der letzten Nacht ziemlich gut gebrauchen.
    »Ey, Schlampe!« Tim balanciert gerade drei übereinander
gestapelte Kartons mit Biergläsern zum Tresen, als ich ins Drinks & More
komme. Er freut sich, wenn ich dieses T-Shirt trage. Weil er bis zu seinem 32. Geburtstag so viele Windsor-Kostüme gesehen hat, daß es für den Rest seines
Lebens reicht. Und noch für die nächsten drei. Behauptet Tim jedenfalls. Vor
seiner Kneipiers-Karriere war er bei einer Unternehmensberatung (er spricht
immer von Schnick-Schnack-Consulting), und das ziemlich erfolgreich. Jet Set,
Überholspur, Champagner auf Eis und so, kenne ich persönlich nur aus
Hollywood-Filmen. Und da wirkt es nur deshalb erstrebenswert, weil so hübsche
Musik drüber liegt, aber ich will mich nicht andauernd wiederholen. Tim hat von
heute auf morgen alles hingeschmissen und das Drinks & More eröffnet.
Kollegen, Freundeskreis, Familie, Lebensgefährtin – alle waren komplett
entsetzt. Tims Bezugsgruppe löste sich schneller in Nichts auf, als ich ein
frisches Pils zapfen kann. Und ich bin echt schnell. Das ist schon fast acht
Jahre her, und laut eigenem Bekunden hat Tim seine Entscheidung keinen einzigen
Tag bereut. Im Gegenteil: Er meint, seit er das Drinks & More hat, schläft
er zwar nachts nicht mehr, dafür aber um so besser.
    »Na? Gestern nach Dienstschluß mal wieder rumgetrieben und
versackt?« will Tim beiläufig wissen, während er die Gläser ins Regal über der
Zapfanlage einsortiert.
    »Wie kommst du darauf?« entgegne ich so unverfänglich wie möglich,
denn schließlich habe ich ja wohl ein Recht auf meine Privatsphäre.
    »Charly, Charly!« Mein Chef schüttelt den Kopf und wirft mir einen
Blick zu, der irgendwo zwischen amüsiert und besorgt einzuordnen ist. »Glaubst
du ernsthaft, ich hätte noch nicht mitbekommen, wann du das Schlampen-T-Shirt
anziehst? Demonstrative Offensive nenne ich das!«
    »Ach«, maule ich und fühle mich ertappt. Bin ich wirklich so leicht
zu durchschauen? Ich versuche, mich an die letzten Male zu erinnern, als ich
das Shirt getragen habe – und muß feststellen,
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