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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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an«, ruft Tim aus und liegt im selben Moment schon
halb auf meinem Brief, »unsere Charly hat Jubiläum!«
    »Wie, Jubiläum?« Wüßte nicht, was sich bei mir jubiliert. Ich
schiebe Tim ein Stück zur Seite, um endlich lesen zu können, was in meinem
Brief steht.
    »Kaum zu glauben, aber wahr«, steht in großen, geschwungenen
Buchstaben auf dem obersten Blatt, »unser Abi geht ins zehnte Jahr!« Eiderdaus,
zehn Jahre Abi. Schnell überfliege ich den Brief, in schauderhaften
Klapperversen geht es weiter:
    Zu einer Feier, liebe Leut / Kommt also her von
    nah und weit / Am siebten Mai soll es geschehen / In der »Mood Lounge« seid ihr
alle gern gesehen!
    Darunter steht noch ein kleines »um 19.00   Uhr« gekritzelt, das
hat der Dichter offensichtlich nicht mehr in seine wunderbaren Verse
hineingebastelt bekommen.
    »Wie hübsch!« Genau dreieinhalb Minuten hat Georg sein
Schweigegelübde gehalten.
    »Wußte gar nicht, daß du so talentierte Leute kennst«, fügt Tim
hinzu.
    »Ich auch nicht, bin selbst ganz platt.« Ich drehe den Brief um,
hinten steht noch etwas Handschriftliches drauf:
    Liebe Charly, weil ich deine aktuelle Adresse
nicht hatte und deine Eltern umgezogen sind, hoffe ich, daß du diese Einladung
trotzdem bekommst. Jemand meinte, du würdest im Drinks & More kellnern,
deswegen habe ich sie da hingeschickt. Sehen wir uns am siebten? Anbei auch für
dich eine aktuelle Liste der Leute aus unserer Stufe, mit kurzer Bio und
Adresse. Gruß, Heike.
    Heike? Wer ist das bloß? Ratlosigkeit macht sich breit, meine
Schulzeit habe ich wirklich mehr als erfolgreich verdrängt. Waren ja auch nicht
gerade die schönsten dreizehn Jahre meines Lebens, besser gesagt vierzehn.
Meine Eltern hatten mich auf eine Art Elite-Schule verfrachtet, weil sie der
Ansicht waren, daß ich dort am meisten für meine Zukunft lernen würde. Grausam
war das, um mich herum nur Arzt- und Anwaltskinder, da soll sich ein Teenager
normal entwickeln! Meine Eltern waren zwar auch nicht gerade arm, aber trotzdem
paßte ich einfach nicht zu den anderen, ich war immer … Charly.
    »Das wird bestimmt spannend!« unterbricht Tim meinen Gedankengang.
»In zehn Jahren passiert ja eine Menge.«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich da hingehe?« entfährt es
mir entgeistert.
    »Warum nicht?«
    »Weil ich meine Mitschüler schon früher gehaßt habe. Das sind alles
Langweiler, Spießer und Arschlöcher.« Ich trinke mein Bier in einem Zug aus und
knalle zur Untermauerung meiner Feststellung das Glas auf den Tisch. »Nee,
danke, einen beschissenen Abend kann ich mir auch leichter machen, dafür muß
ich nicht in die schicke Mood Lounge eiern.« Ich weiß gar nicht, warum ich
plötzlich so heftig reagiere, aber komischerweise regt mich diese Einladung
richtig auf.
    »Bist du denn nicht neugierig, was aus deinen Klassenkameraden
geworden ist?« fragt Georg.
    »Ich kann euch sagen, was aus denen geworden ist: Die meisten von
denen hocken in einer schicken Altbauwohnung in Eppendorf oder in der geerbten
Villa in Poppenbüttel, besitzen Sportwagen, Segelboot und Golfausrüstung. Sie
haben die Praxis oder Kanzlei von Papi übernommen und demnächst wird dann das
erste Kind – Anna-Lena oder Julian-Claudius – geboren.« Tim und Georg gucken
mich groß an, ich habe mich anscheinend etwas in Rage geredet. »Seht euch das
an!« Ich schlage die erste Seite der Adressenliste auf: Es wimmelt nur so vor
Doktortiteln, dabei sind die meisten von denen noch nicht mal 30!
    »Simone Battenburg«, liest Georg laut vor, »1993 bis 98 Jura-Studium
in München, London und Paris, 1999 Promotion, seit 2000 Partner bei Schrader
& Schrader … ganz beeindruckend. Oder hier: Marius von Herresthal, Oberarzt
im Universitätsklinikum Eppendorf … Sebastian Konradi, CEO bei …«
    »Schon gut«, unterbreche ich ihn und schlage die Liste wieder zu.
Mir persönlich reicht das.
    »Und was steht hinter Charlys Namen?« Ich habe geahnt, daß Tim mit
dieser Frage kommen würde. Und ehrlich gesagt habe ich Angst davor
nachzugucken.
    »Wahrscheinlich gar nichts«, erwidere ich, falte die Blätter
zusammen und will sie wieder in den Umschlag stecken.
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, widerspricht Tim. »Hier hat
sich offenbar jemand sehr viel Mühe gegeben, alles auf den aktuellen Stand der
Dinge zu bringen, da wird man dich kaum ausgelassen haben.« Schon hat er die
Liste an sich gerissen und faltet sie auseinander.
    »He!« protestiere ich. Von mir aus bin ich jetzt
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