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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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über Tote reden, aber glücklicherweise passiert das nicht so oft, weil
der obere rechte Flipperfinger nicht mehr funktionstüchtig ist. Selbst für
echte Cracks ist der Kasten damit eine Herausforderung. Außerdem muß man noch
Ein- und Zweimarkstücke einwerfen, die man sich am Tresen besorgen kann. Wenn
Tim das Gebimmel auf die Nerven geht, behauptet er einfach, er habe keine mehr
zum Wechseln. Der Musikbox direkt daneben hat er schon vor einiger Zeit den
Saft abgedreht, weil ihn der schlechte Geschmack der meisten Leute wahnsinnig
macht. »Die bringen es fertig und drücken im Anschluß an einen Beatles-Song
irgend etwas von Sarah Connor. Nicht zu fassen!« Tim ist manchmal ein kleiner,
elitärer Snob. Aber nur manchmal.
    Klein ist er allerdings immer, denke ich, während ich hinterm Tresen
nach der harten Arbeit erst mal eine rauche und ihn dabei beobachte, wie er
sich reckt, um mit Kreide auf die Tafel über der Jukebox das »More des Tages«
zu schreiben. (Heute Königinpastetchen mit Ragout Fin, die Fischstäbchen hätte
ich mir sparen können.) Höchstens einen Meter fünfundsiebzig ist er, obwohl er
sich – ganz eitler Ex-Unternehmensberatungsfuzzi – gern als »knapp einsachtzig«
bezeichnet. Der blonde Lockenkopf verleiht ihm etwas Jungenhaftes, und wenn er
dann noch lächelt und die große Lücke zwischen seinen Schneidezähnen aufblitzen
läßt, fällt es schwer, in ihm einem erwachsenen, vierzigjährigen Mann zu sehen.
Tim erinnert mich sehr an Alfred E. Neumann aus den »Mad«-Heften, vor allem,
weil er riesiggroße Sommersprossen auf der Nase und eine leichte Tendenz zu
Segelohren hat. Niedlich. Allerdings glaube ich nicht, daß er über diesen
Vergleich besonders glücklich wäre. Welcher Mann möchte schon aussehen wie
Alfred E. Neumann? Wobei Tim voll und ganz zu seiner Zahnlücke steht. Als ihm
sein Chef bei Schnick-Schnack-Consulting riet, zum Kieferorthopäden zu gehen
und sich ein »seriöseres« Gebiß verpassen zu lassen, hat Tim ihm vorgeschlagen,
ihm mal ganz unseriös in den Arsch zu beißen. Ich muß lachen, zu gern wäre ich
in diesem Moment dabeigewesen!
    »Kannst du mir mal sagen, warum du mich seit fünf Minuten anstarrst,
blöde kicherst und außerdem versuchst, den Filter deiner Zigarette zu rauchen?«
Tim steht direkt vor mir und nimmt mir die runtergebrannte Kippe aus dem Mund.
Dann breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Muß ja ein Wahnsinnskerl
gewesen sein letzte Nacht.«
    »Neidisch?« Ich gucke ihm direkt in die Augen und gebe mir Mühe, mit
keiner Wimper zu zucken. Ich kann das ganz gut. Tim allerdings auch.
    »Keineswegs«, behauptet Tim, steckt mir eine neue Zigarette zwischen
die Lippen und zündet sie an. »Solange du deine tragende Rolle hier nicht
vernachlässigst, darfst du von mir aus jede Nacht unter die Räder kommen!« Mit
diesen Worten drückt er mir ein leeres Tablett in die Hand und trollt sich
zuckersüß lächelnd Richtung Küche. Wahrscheinlich, um Ragout-Fin-Dosen zu
öffnen.
    Ich widerstehe der Versuchung, ihm das Tablett wie eine
Diskusscheibe in den Nacken zu schleudern und beschränke mich auf ein »Lieber
hin und wieder unter die Räder kommen, als immer nur dem Zug hinterher sehen,
der längst abgefahren ist!«
    Tim bleibt kurz vor der Küchentür stehen, dreht sich zu mir um und
guckt mich böse an. Oha, ich habe es übertrieben. Aber dann macht er mit seiner
rechten Hand ein »thumbs up« und nickt anerkennend. »Eins zu null für die Schlampe – nicht schlecht für halb vier am Mittwochnachmittag.« Schwups, ist er schon
durch die Schwingtür in die Küche verschwunden. Georg lacht laut und blickt von
seiner Zeitung auf.
    »Deshalb komme ich so gern hierher«, stellt er fest. »Ihr beiden
seid besser als Fernsehen. Viel besser!« Na, wenigstens einer, dem das
Unterhaltungsprogramm zusagt!
    Eine halbe Stunde später ist der Laden proppenvoll. Die meisten
Gäste sind Studenten, einige kenne ich sogar noch von der Uni. Obwohl es
zugegebenermaßen immer weniger werden, denn langsam, aber sicher schließen
selbst die langsamsten meiner Ex-Kommilitonen ihr Studium ab und verbringen
ihre Freizeit in etwas repräsentativeren Etablissements. Zwischen vier und
sechs laufen Tee und Kaffee am besten. Und Latte Macchiato, dieser Trend hat
auch vor dem Drinks & More nicht halt gemacht. Keine Ahnung, wie man den in
Wirklichkeit zubereitet, mit so einem Schicki-Micki-Kram kenne ich mich nicht
aus. Ich nehme einfach einen starken Kaffee, kippe
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