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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz
Autoren: Bruce Sterling
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1. Kapitel
     
    Die See lag in siedender Stille, eine schieferig-grüne Suppe, gewürzt mit warmem Schlamm. Garnelenkutter zogen am Horizont dahin.
    Pfähle erhoben sich in Gruppen wie geschwärzte Finger meterhoch aus der sanft auslaufenden Brandung. Früher hatten auf diesen teerfleckigen Stelzen die Strandhäuser von Galveston gestanden. Jetzt siedelten dort Entenmuscheln, kreisten Möwen und kreischten. Er war ein großer Erzeuger von Wirbelstürmen, dieser ruhige Golf von Mexiko.
    Laura las mit einem schnellen Blick zu ihren Füßen Zeit und Entfernung ab. Grüne Anzeigen blinkten auf den Spitzen ihrer Schuhe, veränderten sich mit jedem Schritt und zählten die zurückgelegte Entfernung. Laura trabte schneller. Licht und Schatten des frühen Morgens huschten über die Gestalt der Läuferin hin.
    Sie brachte die letzten Pfeilerbündel hinter sich und machte weit voraus am Strand ihr Heim aus. Ihre Müdigkeit verflog in einem Ausbruch neuerlicher Energie.
    Sie grinste. Die Mühe hatte sich gelohnt. Nun, da sie eingelaufen war, hatte sie das Gefühl, noch stundenlang laufen zu können, eine Verheißung unzerstörbarer Zuversicht, die aus dem tiefsten Innern kam. Sie lief mit tierhafter Leichtigkeit, wie eine Antilope.
    Der Strand sprang hoch und schlug gegen sie.
    Laura lag einen Augenblick benommen. Dann hob sie den Kopf, hielt den Atem an und ächzte. Ihre Wange war mit Sand verklebt, beide Ellbogen vom Aufprall betäubt. Ihre Arme zitterten, als sie sich aufstützte und auf die Knie kam. Sie blickte hinter sich.
    Ihr Fuß hatte sich in etwas verfangen. Es war ein Stück schwarzes Elektrokabel. Treibgut vom letzten Wirbelsturm, im Sand begraben. Das Kabel hatte sich um ihren linken Knöchel geschlungen und sie wie ein Lasso zu Boden geworfen.
    Sie drehte sich um und saß schnaufend im Sand, stieß das gelockerte Kabel von ihrem Schuh. Die Aufschürfung über der Socke begann zu bluten und meldete sich mit brennendem Schmerz.
    Laura stand auf, wischte Sand von der Wange und den Unterarmen und schüttelte die Wackligkeit ab. Der Sand hatte das Plexiglas ihres Uhrtelefons zerkratzt. Das Armband war mit Schmutz verklebt.
    »Wunderbar«, murmelte Laura, und eine verspätete Aufwallung von Zorn ließ ihre Kräfte zurückkehren. Sie bückte sich und zog kräftig an dem Kabel. Anderthalb Meter nassen Sandes hoben sich mit einem scharfen Ruck.
    Sie hielt Umschau nach einem Stock oder einem Stück Treibholz, das sich zum Graben eignete. Der Strand war wie gewöhnlich auffallend sauber. Aber Laura war nicht gewillt, dieses schmutzige Kabel zurückzulassen, daß es andere Strandläufer zu Fall bringen konnte. Das sollte nicht sein - nicht an ihrem Strand. Sie kniete nieder und grub mit den Händen.
    Sie folgte dem zerfaserten Kabel zwei Meter weit und dreißig Zentimeter tief zur verchromten Kante eines Haushaltgerätes. Die mit Holzmaserung bedruckte Kunststoffoberfläche zerbröselte unter Lauras Fingern wie altes Linoleum. Sie bearbeitete das Ding mit mehreren Fußtritten, um es zu lockern, dann zog sie es schnaubend vor Anstrengung aus seiner nassen Höhlung im Sand. Nach anfänglichem Widerstand kam es plötzlich heraus, wie ein fauler Zahn.
    Es war ein Videorecorder. Zwanzig Jahre Sand und Salzwasser hatten ihn zu einer festen, korrodierten Masse werden lassen. Ein dünner Schleim aus wässerigem Sand tropfte aus dem leeren Kassettenschlitz.
    Es war ein altmodisches Gerät, schwer und ungefüge. Laura zog es hinkend am Kabel hinter sich drein und hielt Ausschau nach der örtlichen Abfalltonne.
    Sie trieb sich bei zwei Anglern herum, die mit hüfthohen Gummistiefeln im Wasser standen. Laura legte beide Hände an den Mund und rief: »Abfall!«
    Die Tonne drehte auf breiten Gummireifen und rollte in ihre Richtung. Sie schnüffelte den Strand entlang und suchte sich den Weg mit Infraschall. So behielt sie Laura im Visier und hielt knarrend neben ihr.
    Laura hob den toten Recorder und warf ihn in die offene Tonne. Es gab ein lautes, dröhnendes Geräusch. »Wir danken Ihnen, daß Sie unsere Strände sauberhalten«, sagte die Abfalltonne. »Galveston weiß Bürgertugenden zu schätzen. Möchten Sie an der Verlosung eines wertvollen Geldpreises teilnehmen?«
    »Spart es für die Touristen«, sagte Laura. Sie joggte weiter, bemüht, den verletzten Knöchel zu schonen.
    Ein Stück jenseits der Hochwasserlinie ragte das Ferienheim auf, gestützt von zwanzig sandfarbenen Strebepfeilern. Es war ein glatter Halbzylinder aus
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