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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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den Blick immer noch aufs offene Meer gerichtet, zurück an den Strand.
    Er brauchte einen Aussichtspunkt, von dem aus er den Horizont absuchen konnte. Zitternd vor Aufregung stieg er das Kliff wieder hinauf.
    Was war passiert? Wie lange hatte sein Alleingang ins Landesinnere gedauert? Höchstens eine Stunde. In der Zwischenzeit hatte man die Schaluppe zurückgerufen: Er hatte die Fahne Zurück an Bord nicht gesehen und auch die Gewehrschüsse nicht gehört. Die Saint-Paul hatte den Anker gelichtet, die Segel gesetzt und war ausgelaufen. Doch warum? Warum so schnell und ohne ihn?
    Er setzte sich in den Schatten eines knorrigen Bäumchens. Seine Erlebnisse auf See, einige Sätze, die in der Führungsmannschaft gefallen waren, kamen ihm in den Sinn. Laut Steuermann war der Ankerplatz, grober Sand auf Fels, nicht sehr günstig. Der Vollmondvon vor zwei Tagen verstärkte die Gezeiten. Letztlich hatte der Kapitän der Einfahrt in die fremde Bucht nur zugestimmt, um dort nach Trinkwasser für die Kranken zu suchen. Der Wind vom Land schien aufzufrischen.
    Kurz zuvor hatte er noch Wirbel und Strudel bemerkt, dann jedoch war das Wasser so still gewesen wie auf einem See, und alle waren zuversichtlich. Erst jetzt, aus dem Schatten des Bäumchens, sah er, was der Mann im Ausguck lange vor ihm gesehen haben musste: Die Bucht war von einem Korallenriff umschlossen, das allmählich immer weiter aus dem Wasser ragte und nur zwei enge Durchfahrten ließ. Sie waren bei Flut zufällig durch die breitere eingelaufen und hatten sich nichts dabei gedacht. Mit der Ebbe aber war die Gefahr sichtbar geworden. Mit einem unsicheren Ankerplatz und auffrischendem Wind konnte der Kapitän nicht riskieren, in der Bucht festzusitzen. Ihm war gar nichts anderes übrig geblieben, er musste so schnell wie möglich ablegen, solange der Schoner noch manövrierfähig war. Vielleicht hatte der Bootsmann erwähnt, dass ein Matrose fehlte, doch es hätte wohl eine weitere Stunde gekostet, abermals an Land zu gehen, nach dem Vermissten zu suchen und dann die Segel neu zu setzen. Um das Schiff zu retten, mussten sie schnellstmöglich die offene See erreichen.
    Er malte sich die Situation aus, die Diskussionen und aufeinanderfolgenden Befehle. Die Vorstellung erheiterte ihn. Der Kapitän hatte richtig und wie ein Seemann entschieden. Man hatte ihn nicht mutwillig zurückgelassen, nicht gezielt verraten, sondern so gehandelt, wie es die Lage erforderte. Er hatte sich befehlswidrig von der Gruppe entfernt und damit eine Strafe verdient. Die drohenden Prügel des Bootsmanns beunruhigten ihn kaum – er war daran gewöhnt, aus der väterlichen Schuhmacherwerkstatt, aus der Schule, vom Vorschiff –, er hoffte nur, keine Geldbuße zahlen zu müssen. Und in zwei oder drei Monaten würden sie alle über seine missglückte Heldentat lachen.
    Der Wind nahm zu, das Meer jenseits der Bucht wurde unruhig, die heranrollenden Wellen brachen sich am Korallenriff. Geistesabwesend griff er nach einem Stein und warf ihn in einen Haufen trockener Äste. Einer von ihnen entpuppte sich als stattliche silberfarbene Echse, die stehen blieb und ihren Schlangenkopf wiegte, bevor sie im Gestrüpp verschwand.
    Er überdachte seine Lage und bekam Angst: Man hatte ihn an einer unbekannten Küste zurückgelassen, ohne Vorräte, umgeben von wilden Tieren, vielleicht sogar von Kannibalen, die nur auf die Nacht warteten, um über ihn herzufallen. Er hatte weder zu essen noch zu trinken, nichts, um Feuer zu machen. Ihm blieben nur seine Kleider und das Messer am Gürtel.
    Er musste sich darauf einstellen, auf dem Boden zu schlafen. Bei diesem Seegang würde das Schiff wohl kaum vor Einbruch der Nacht zurück sein. Aber er wollte seinen Beobachtungsposten nicht verlassen, diese Anhöhe, von der er die gesamte Bucht überblickte. Um sich die Zeit zu vertreiben, aber auch mit der leisen Vorahnung, sich verteidigen zu müssen, sammelte er einige halbwegs gerade Äste, entfernte die Rinde und schnitt die Enden zu. Das Ergebnis war ein Bündel spitzer Stöcke, eine Mischung aus kurzen Spießen und dicken Speeren. Waffen zu haben, wenn auch nur primitive, beruhigte ihn ein wenig.
    Einsamkeit und Hunger lasteten auf ihm wie eine große Erschöpfung. Die Sonne ging unter. Seiner Erfahrung nach blieben ihm noch eine Stunde Tageslicht, zwei Stunden, ehe es völlig dunkel sein würde. Er fragte sich, wo er die Nacht verbringen sollte. Der Wind frischte weiter auf und kündigte womöglich Regen an, am
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