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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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    Als er auf dem Gipfel des kleinen Felsens angekommen war, entdeckte er, dass er allein war. Die Schaluppe befand sich nicht mehr auf dem Strand, sie schwamm auch nicht auf den türkisfarbenen Wellen. Vor der Bucht lag kein Schoner mehr vor Anker, am Horizont waren nicht einmal Segel zu erkennen. Er schloss die Augen, schüttelte den Kopf. Nichts zu machen. Sie waren abgesegelt.
    Absurderweise fühlte er sich schuldig. Nachdem sie die Schaluppe an Land gezogen hatten, hatte der Bootsmann die Matrosen aufgeteilt, um auf der Suche nach Trinkwasser mehr Chancen zu haben. Drei schickte er zu der Baumreihe, die sich am Ende des Strands abzeichnete; drei weitere auf die andere Seite der Bucht, die felsig und wenig einladend wirkte; die restlichen sollten in Gesteinsmulden nachsehen und am Fuß der Kalkwand nach einer Grotte suchen. Zuerst hatte er zusammen mit seinen Kameraden Korallenblöcke inspiziert, aber schnell gemerkt, dass alle Mühe vergebens war: Regen, der hierauf fiel, sickerte sofort hindurch in den Sand. Anstatt auf gut Glück herumzustochern, wollte er lieber nach Spuren von Leben Ausschau halten: Tiere oder Menschen würden ihn zu einer Wasserquelle führen. Es wehte eine leichte Brise und nahm der tropischen Sonne etwas von ihrer Intensität.
    Er begann zu klettern, bewegte sich geschmeidig das Kliff hinauf,hielt sich an Wurzeln oder Felsvorsprüngen fest. Nach einigen Minuten und einem recht waghalsigen Klimmzug, der viel Kraft kostete, gelangte er auf den oberen Rand. Er winkte seinem Schiff, schwenkte die Arme, aber niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit, und so wandte er sich landeinwärts. Vor seinen Augen erstreckte sich eine weite Ebene. Grasbüschel und vereinzelte magere Bäume, die metallisch grün und staubbedeckt waren, ließen erahnen, wie sehr diese Gegend mit Wasser geizte. Nirgendwo ein Haus oder Rauch. In dieser kargen Steppe würde er die Quelle, nach der sie alle suchten, nie finden.
    Während er die wenig verheißungsvolle Landschaft betrachtete, fiel ihm auf, dass nicht weit entfernt eine Rinne begann, die sich in die Hochebene erstreckte, dort verbreiterte und schließlich in eine Senke mündete. Er folgte ihr mit den Augen und stellte fest, dass sie immer breiter und tiefer wurde. Die Bäume zu beiden Seiten waren grüner und größer als die anderen und formten am Ende einen kleinen Wald, dessen smaragdgrüne Farbe aus der blassen Umgebung herausstach. Bei Regen musste sich in dieser natürlichen Vertiefung das Wasser sammeln. Vielleicht gab es dort irgendwo im Schatten einen Tümpel. Selbst das kleinste und sumpfigste Wasserloch würde ausreichen, um ein Fass zu füllen und die Kranken zu retten.
    Er ging geradewegs auf die Doline zu und begann seinen Abstieg in diese trichterförmige Senke. Der Weg war beschwerlich, denn die Vegetation unterschied sich von jener in der Ebene: verwachsene Büsche und Zwergsträucher mit glänzenden Blättern, zwischen denen er sich hindurchwinden musste. Dann tauchte eine Art Kresse auf, die allmählich alle anderen Pflanzenarten verdrängte. Schließlich gelangte er in eine kleine Talmulde, die einige Meter tiefer lag als die Ebene. Er befühlte die Erde, sie war feucht. Aber nirgendwo ein Rinnsal, nicht einmal eine Pfütze. Er kniete nieder und schabte und stocherte mit seinem Messer herum. Die feuchte Erde war locker, und er schaffte es, ein Loch zu graben, so tief wie sein Unterarm. Vergeblich.
    Er war nicht der Held des Tages. Ein wenig enttäuscht erhob ersich und ging durch den Hohlweg zurück Richtung See. Dieser Spaziergang am Grund der kühlen, grünen Allee inmitten des grauen Buschs würde sein Geheimnis bleiben, eine winzige Genugtuung auf der Suche nach Wasser an dieser unbekannten Küste. Er beeilte sich nicht, sondern schritt ruhig den leichten Anstieg zum Kamm hinauf, der die Bucht überragte.
    Und hier entdeckte er, dass er allein war. Er stieß einen Schrei aus, der auf keinem Schiff gehört wurde. Seine Gedanken überschlugen sich, Panik befiel ihn, er wurde wie wahnsinnig: So schnell er konnte, kletterte er die Steilküste hinab, rutschte ab, schrammte entlang, hätte sich zweimal fast das Genick gebrochen, sprang in den Sand, raste den feuchten Strand hinunter zum Wasser und lief bis zur Brust hinein, um dem Schiff, das nicht mehr da war, so nahe wie möglich zu kommen, schrie vor Wut, er schrie um Hilfe. Seine Schreie wurden hier ebenso wenig gehört wie oben auf dem Kliff. Als eine Welle seinen Hals umspülte, zog er sich,
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