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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Fieber hätte.
    Er überlegte, einfach Schluss zu machen, sich kopfüber vom Kliff zu stürzen. Blieb ihm wirklich keine andere Wahl? Konnte er nur noch den Tod suchen oder auf ihn warten? Erinnerungen an den Katechismus waren keine Hilfe. Hierin bestand seine letzte freie Entscheidung, und er wollte nicht auf sie verzichten. Aufstehen und hinunter auf das Korallenriff sehen …
    Er schlief wieder ein, und seine Sorgen zerstreuten sich.
    Kälte weckte ihn. Der Wind hatte abermals aufgefrischt und blies über den Kamm, auf dem er lag. Über dem fahlen Busch ging die Sonne unter, Rosa- und Orangetöne leuchteten am ganzen Horizont. Der nagende Hunger war nichts im Vergleich zum quälenden Durst. Vorsichtig stand er auf und begab sich zum Versteck, in dem er die vergangenen Nächte verbracht hatte. Ihm war schwindelig, jeder seiner zittrigen Schritte kostete ihn Überwindung – wie viel leichter wäre es gewesen, sich an Ort und Stelle fallen zu lassen und das Ende abzuwarten. Doch er hatte beschlossen, zu den Überresten seiner Hütte und dem Lager aus Farn zurückzukehren. Wie ein Betrunkener wankte er mit leerem Kopf zur Senke, stolperte hinab – nahm dieser sandige Abhang mit Sträuchern denn überhaupt kein Ende? – und brach in der Talmulde vor seinem Lager zusammen. Er spürte, in sich zusammengerollt, den Wind nicht mehr und verlor das Bewusstsein.
    Die Leiden am vierten Tag waren wie ein langer Todeskampf. Ihm fehlte die Kraft, zum Strand oder zum Kliff zu gehen, und er blieb reglos liegen. Als ihn endlich die Abendkühle erreichte, überließ er sich dem Gedanken an den Tod, hier im Sand und fern von allen.
    Erster Brief
    Sydney, 5. März 1861
    Monsieur le Président,
    als Sie mir die Ehre erwiesen und mich vor mittlerweile vier Jahren zum ersten Mal empfingen, öffneten Sie einem unbekannten jungen Mann die Tür, der Ihnen in einem Schreiben von seinem Wunsch berichtet hatte, sich in den Dienst der Wissenschaft, insbesondere der Geografie, zu stellen.
    In jenem Büro, in dem viele große Expeditionen ihren Anfang nahmen, schilderte ich Ihnen mein Anliegen: nämlich das Erbe, das zwei Generationen umsichtig erwirtschaftet hatten, nicht für ein ehrbares, bequemes Provinzleben zu verwenden, sondern für die Erforschung der Welt, und zwar im Dienste des Fortschritts und für die Ehre des Vaterlands.
    Mit väterlichem Wohlwollen hörten Sie zu, wie ich Ihnen diesen Herzenswunsch darlegte, der noch keine Richtung hatte, um mir darauf zweierlei zu erwidern.
    Ihre erste Regel lautete, dass Reisen ein Beruf sei und keine Freizeitbeschäftigung. Die Bedeutung und Richtigkeit Ihrer Bemerkung war mir nicht sofort klar, ja, nicht einmal während des ersten Jahres habe ich sie begriffen. Aber wie sehr habe ich in der Folge den Wert dieses Grundsatzes zu schätzen gelernt! Ich musste erst in aller Bescheidenheit lernen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, mich oft zu täuschen und getäuscht zu werden, Zeit zu verlieren, um Zeit zu gewinnen, und innezuhalten, um dem Leben und seinem Gang nachzuspüren. Sie selbst, die Sie öfter und mit mehr Geschick gereist sind als ich, wissen all das, und Sie wissen auch, dass jeder Reisende eine Art Lehrzeit durchlaufen muss: Nichts ersetzt die ersten Erfahrungen.
    Ihr zweiter Rat bezog sich auf die Wahl des Reiseziels: Afrika, die Pole oder der Pazifik. Das waren und sind die wichtigsten Herausforderungen für Expeditionen, auch für die Zukunft.
    Wahrscheinlich haben Sie unsere Unterhaltung bereits vergessen, denn Sie werden es mit einigen Grünschnäbeln zu tun haben. Was mich angeht, so ist sie mir so gut in Erinnerung, als hätte ich einen Befehl vom Gipfel des Sinai empfangen. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich in Ihrem gütigen Blick etwas wie Ironie zu erkennen glaubte. Noch so einer, der bis zur letzten Eisenbahnstation oder bis zum letzten Außenposten der Linienschiffe mitfährt, aber kein bisschen weiter, dachten Sie einen Augenblick lang. Doch dann erläuterten Sie mir die Gefahren der drei Reiseziele: die Kälte an den Polen sowie die Schwierigkeit, im Eis voranzukommen; die Konflikte zwischen Stammeshäuptlingen, arabischen Handelsleuten, englischen Abenteurern und Missionaren unterschiedlicher Glaubensrichtungen in Afrika; und im Pazifik die Entfernungen und das Unbekannte.
    Mit dieser Wegzehrung zog ich von dannen und wägte die drei Horizonte gegeneinander ab. Aus Gründen, die hier nicht erwähnt werden sollen – und die sich darüber hinaus auch
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