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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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essbar? Er zögerte nicht länger – die weichen, salzigen Fleischstückchen verschlimmerten Hunger und Durst jedoch nur.
    Ihm wurde schwindlig. Er setzte sich unter einen Eukalyptus und versuchte, im Schlaf sein Unglück zu vergessen. Um seine Sicherheit sorgte er sich nicht weiter: In dieser Gegend gab es offensichtlich weder wilde Tiere noch Menschen.
    Als er erwachte, schien das gröbste Unwetter vorüber. Es war einem bleiernen Himmel und drückender Hitze gewichen. Ohne irgendeine Hoffnung oder Absicht, nur um sich zu beschäftigen, wanderte er zur Felsspitze, welche die Bucht nach Norden abschloss. Mit dem toten, chaotisch aufgetürmten Korallengestein war nichts anzufangen. Er kletterte zur Spitze hinauf und entdeckte eine weitere Küste,die aus kleinen, von engen Buchten unterbrochenen Klippen bestand, die selbst vom Meer her unzugänglich waren. Landeinwärts erstreckte sich in staubigem Grün die Ebene mit ihrer eintönigen Vegetation.
    Allem Anschein nach war Ebbe, das brachte ihn auf die Idee, eine Fischfalle zu bauen. Er hatte davon gehört, und ein Versuch konnte nicht schaden. Eine Stunde lang schob er Brocken und Steine zusammen und errichtete eine halbkreisförmige Mauer, die zum Strand hin offen war. Bei Flut würden sich unvorsichtige Fische in dem Halbkreis ausruhen und dann bei der nächsten Ebbe so freundlich sein, sich mit bloßen Händen fangen zu lassen.
    Als er seine Arbeit beendet hatte, wurden Hunger und Durst übermächtig. Auf dem Schiff war das Wasser seit zwei Wochen rationiert gewesen. Er hatte seit mehr als einem Tag nicht mehr uriniert und wusste, dass das ein schlechtes Zeichen war. Die Bäume trugen keine Früchte, die knorrigen Stämme der Büsche boten keinerlei Unterschlupf. Er kehrte in den Schatten, zu seinem Beobachtungsposten auf dem Kliff, zurück. Die Dämmerung nahte. Draußen auf dem Meer schien sich das Wasser zu beruhigen, nur eine lange Dünung, die noch vom Unwetter herrührte, war sichtbar. Auf der Saint-Paul wurde es nun Zeit für die Abendsuppe, Zeit für Erzählungen und Gesänge am Ende des Arbeitstags, vor Einbruch der Nacht. Sprach man gerade über ihn? Hatte sich der Kapitän zu seiner Person geäußert? An Bord litten ein Verletzter und drei Kranke, es fehlte an Wasser. Dem Kapitän musste daran gelegen sein, ihn so schnell wie möglich aufzulesen, um die Fahrt nach Java und China fortsetzen zu können. Wahrscheinlich war er mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass zwei Tage an Land, ohne Wasser, ohne Proviant und ohne Kontakt, als Strafe ausreichten – für die Dummheit, auf der anderen Seite der Steilküste allein und befehlswidrig auf Erkundungstour gegangen zu sein. Bei Tagesanbruch würde die Flut kommen, der Schoner also wieder außerhalb der Bucht bleiben und nur die Schaluppe zu Wasser gelassenwerden. Die Ruderer würden ihn finden und nach anfänglicher Besorgtheit mit Schmähungen überziehen – ihm dann aber doch Wasser und Schiffskeks geben.
    Nein. Er machte sich was vor. Verknappte Wasserrationen, ein Verletzter, drei Kranke. Der Kapitän würde versuchen, diese vier zu retten, und nicht wertvolle Zeit damit verschwenden, nach dem einen Übermütigen zu suchen, würde nicht für diesen einen auf offener See, im Unwetter ausharren und so lange gegen den Wind ankreuzen, bis er aufs Festland gelangen könnte. Wozu auch? Bloß um festzustellen, dass den vermissten Matrosen wilde Tiere oder Kannibalen gefressen hatten? Wer würde das Leben von vier Männern aufs Spiel setzen, um einen zu retten, der vermutlich schon tot war? Der gesunde Menschenverstand verlangte, gleich nach Rückkehr der Schaluppe dem Sturm zu trotzen und so schnell wie möglich Richtung Java aufzubrechen. Schon seit zwei Tagen war die Saint-Paul nach Norden unterwegs – während er hier oben auf seinem Ausguck hockte … Sie würden nie zurückkommen.
    Nein, das konnte nicht sein. Gegen eine so unmenschliche Entscheidung hätte die gesamte Besatzung gemeutert, sie hätten den Kapitän gezwungen, ihm zu Hilfe zu eilen, alle gemeinsam! Wirklich alle? Wer würde für ihn den Aufstand proben? Pierre? Joseph? Yvon? Er zählte seine Verbündeten an den Fingern ab, zögerte, begann von vorn – und gab auf.
    Seine Überlegungen waren nicht nur sinnlos, sie waren gefährlich. Er musste sich jetzt ganz aufs Überleben konzentrieren und vor allem etwas trinken, das allein zählte.
    Schnell erhob er sich. Ein Schwindelgefühl überkam ihn, er stützte sich gegen den Stamm und hielt
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