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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine
Autoren: Pai Kit Fai
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PROLOG
    Tausend Goldstücke
    Gewürzgut »Große Tanne« am Perlfluss, Südchina, 1906
    Trachte nach jedem verborgenen Glück. Sammle die kleinsten Freuden. Jede davon ist so wertvoll wie ein Stück reinen Goldes.
    PAI-LING
    Der Bauer Yik-Munn goss sich eine weitere Tasse heißen Reiswein ein. Seine Hand zitterte, als würde er die Schmerzen ebenfalls erleiden, die oben hinter verschlossenen Türen gelitten wurden. Er hatte derlei schon etliche Male mitgemacht, und seinetwegen hätten die Schreie von Nummer Vier genauso gut das Gequieke einer Sau sein können, der man mit einer stumpfen Klinge zu Leibe rückte. Man hatte zwar eigens eine abgelegene und ruhige Kammer ausgesucht, aber ihr Gegreine machte ihm dennoch zu schaffen und verfolgte ihn wie ein verrückter Geist, als er auf der Suche nach einem Augenblick des Friedens und der Stille die Treppe hinunterging.
    Wahrscheinlich konnte man von der neuesten und jüngsten seiner Frauen auch nichts anderes erwarten, zumal es ihr erstes Kind war. Das erste kam stets mit viel Gejaule auf die Welt, bereitete den nachfolgenden aber den Weg - bis sie schließlich so mühelos hinausglitten wie das Kalb aus der Kuh. Dennoch, seitdem er seine Konkubine vor einem Jahr aus der großen Stadt Shanghai im Norden auf sein Gewürzgut Große Tanne geholt hatte - von der Mündung des Perlflussdeltas weit in seinen fruchtbaren Trichter hinein -, hatte er sich so manches Mal Gedanken über die Weisheit seines Kaufs gemacht. So auch jetzt.

    Pai-Ling war kaum fünfzehn, als er sie einer großen Familie abgekauft hatte, die vor den Unruhen in Shanghai geflohen war. Einst war der Ling-Clan reich und mächtig gewesen und hatte ein weitläufiges Anwesen im alten Viertel bewohnt, das in ausreichender Entfernung von den Unterkünften des fremden Teufels lag. Nach dem Boxeraufstand jedoch hatten sie ihr Gesicht verloren. Sie waren der Gnade der chinesischen Geheimbünde ausgeliefert, während die Stadt im Namen der I-Ho-Chuan bzw. der »Fäuste der Rechtschaffenheit« von Erpressungen und Entführungen heimgesucht wurde.
    Die Familie Ling hatte notgedrungen in ihr bescheidenes Geburtsdorf zurückkehren müssen. Nachdem die Söhne in alle Winde zerstreut und Hab und Gut deutlich geschrumpft waren, beschloss man, die jüngste Tochter, das als entbehrlich erachtete Kind einer Lieblingsmätresse, zu verkaufen. Lieber verkaufte man sie an einen einfältigen Bauern aus dem Süden, als dass sie entführt und ein unbezahlbares Lösegeld gefordert wurde und sie am Ende noch zum Spielzeug der Boxer wurde oder in den Händen von Entführern aus den Triaden einen schrecklichen Tod erlitt. Als Frau aus dem Norden war Pai-Ling größer und schöner als die drei Ehefrauen, die Yik-Munn in seinem langen und beschwerlichen Leben zur Seite gestanden hatten und die dick geworden waren und langweilig im Bett. Sie war stolz, und in ihren Augen zeigte sich eine unerwartete Würde. Yik-Munn erinnerte sich gut daran, wie man sie in der großen Empfangshalle des Ling-Anwesens zum ersten Mal vor ihn geführt hatte.
    Während er mit blankgeputzten Schuhen in seinem besten Anzug aus kariertem Tuch, der im westlichen Stil von einem Meisterschneider in Kanton für ihn maßgeschneidert worden war, dagesessen hatte, hatte sie ohne Begeisterung einen Blick auf sein spärliches Haar geworfen, das, frisch geschnitten, mit einer süßlich duftenden Pomade in Form gehalten wurde. Sein langes Gesicht mit den hohen Wangenknochen war rasiert, geklopft und gepflegt worden, ja, selbst seiner großen Ohren hatte man sich angenommen,
bis sie glühten. Auf deren fleischige Ohrläppchen war er besonders stolz, da sie Priestern zufolge - wie jene Buddhas selbst - auf große Weisheit hindeuteten.
    Dass all diese sorgfältigen Vorbereitungen die tiefliegenden Augen und hohlen Wangen eines Opiumessers nicht verbargen, bekümmerte ihn nicht. Unter den Bauern der Provinz Kwangtung galt es als Zeichen des Wohlstands, wenn man sich die Tränen des Mohns leisten konnte. Und der Besitz eines solchen Anzugs, noch dazu eines maßgeschneiderten von der Art, wie ihn nur die Taipans aus den Großstädten trugen, wies ihn als einen respektierten Gewürzhändler aus.
    Auch ihre feindselige Miene entmutigte ihn nicht. Gezögert hatte er nur, als er erfahren hatte, dass sie sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht hatte. An den Ufern des Perlflusses und seiner vielen Nebenflüsse war so etwas undenkbar, zumindest in den Familien, die dort seit vielen
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