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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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denkwürdigen Begegnung im Garten des Gouverneurs am 1. März 1861 ein, wurden von Tag zu Tag weitergeführt und wurden irgendwann anlässlich von Begegnungen und einsamen Betrachtungen meines verstorbenen Bruders fortgesetzt. Nichts Endgültiges, nichts, was für eine Veröffentlichung bestimmt wäre: eher ein Tagebuch mit seinen Überlegungen zu jenem Thema.Auf der anderen Seite eine Schachtel mit der Aufschrift «ADMLG». Ich weiß nicht, was sie bedeuten soll. Er hat mir nichts anvertraut, was es mir erlauben würde, sie zu enträtseln. Darin befinden sich fünfundzwanzig Mappen mit Titeln wie «Einleitung I, II und III» und «Band 1 bis 22». Jede Mappe enthält drei bis zehn Blatt. Auf jeder Seite befinden sich zwischen drei und fünf Zeilen, mitunter ein einziges Wort sowie geometrische Formen, Rauten, Sterne und Quadrate. Seine Handschrift ist hier anders, kleiner, gedehnt, auf jeden Fall unlesbar für mich.
    Seit zwei oder drei Jahren sprach er manchmal von seinem großen Werk, zu Beginn ironisch, dann mitunter bitter und voller Zweifel über dessen Gelingen. Seinen wenigen Anspielungen glaubte ich zu entnehmen, dass jenes Werk teilweise einen Zusammenhang zur Geografie haben mochte. Doch dann sagte er, dass er sich von Ihrer Gelehrtengesellschaft und der Geografie entfernt habe, und war darüber sichtlich betrübt.
    Sie haben es erraten, wir haben keine Verwendung für diese Notizhefte und auch nicht für die Schachtel mit den Skizzen. Diese Arbeiten, die sich säuberlich aufgeräumt auf dem Speicher befinden, stehen Ihnen zur Verfügung – was auch immer Sie in Bezug auf das Testament entscheiden mögen.
    Ich danke Ihnen im Voraus und im Gedenken an unseren Bruder Octave de Vallombrun für die Aufmerksamkeit, mit der Sie sich unserer Angelegenheit annehmen.
    Mein Bruder Louis erweist Ihnen seine Ehre, und ich, Monsieur le Président, bin Ihre ergebene und bescheidene Dienerin.
    Ch. de Vallombrun

16
    Die Regenfälle haben aufgehört, und aus der Erde sprießen Gras und dazwischen weiße Blumen. Auch die Bäume haben eine sanftere Färbung, ihr Grün ist weniger metallisch. Der milde Duft nach Honig liegt in der Luft.
    Er verscheucht die Fliegen von seinem rechten Arm, unzählige Male hat er das heute schon versucht. Und vielleicht, weil Waiakh ihm jedes Mal einen erstaunten Blick zuwirft, wird ihm klar, wie vergeblich diese Handbewegung ist. Ob er sie wegscheucht oder sie in Ruhe lässt, die Fliegen kehren auf jeden Fall zurück. Er schaut zu, wie sie ihn umschwirren und sich dann wieder niederlassen. Er beschließt, nicht zu reagieren, den Reflex zu unterdrücken, den er bislang verspürte, und ihre Gegenwart zu ertragen. Sie krabbeln auf seiner Haut, fliegen fort und kommen wieder. Von jetzt an ist es ihm egal, dass sie da sind.
    Die Jäger haben gute Beute gemacht, alle haben essen können, bis sie satt waren, und sogar noch mehr. Am Abend suchen die Männer die Nähe ihrer Frauen, und die jungen Leute sind unternehmungslustig.
    Die Kinder spielen, laufen umher, necken sich, balgen sich grundlos und hören wieder auf, ohne dass es Sieger oder Verlierer gäbe.
    Er nimmt an keiner dieser Aktivitäten teil, aber auch er fühlt sich leichter, fast froh.
    Nach der Siesta läuft er zum Gipfel eines kleinen Hügels, von dem man den Lagerplatz überschauen kann, um dort die sanfte Brise zu genießen. So weit das Auge reicht, erstreckt sich nach allen Seiten und nur von Baumgruppen unterbrochen die graue Ebene.
    Zwischen zwei Felsen bemerkt er schwere, krümelige gelbe Erde, die dort aus dem Untergrund hervorbricht. Er fährt mit dem Finger hinein und anschließend über seinen Oberschenkel: Eine deutliche, wie mit Zeichenkohle angefertigte Linie ist zu sehen. Auf seiner gebräunten Haut ist sie orangefarben.
    Er lässt sich nieder und beginnt von Neuem. Mit dem Zeigefinger malt er unter der rechten Brustwarze einen Kreis, dann einen unter der linken. Er taucht den Finger wieder in die Erde und malt einen Kreis unterhalb des Bauchnabels, dann einen oberhalb und einen letzten unterhalb der linken Schulter. Sich anzumalen, wie es ihm gefällt, verschafft ihm ein unerklärliches sinnliches Vergnügen. Abermals nimmt er mit seinem Finger gelbe Erde auf und bringt auf seinem Oberschenkel eine Reihe von unterbrochenen Linien an. Der Gegensatz zwischen den nackten Armen, seiner Brust und den bemalten Oberschenkeln erscheint ihm gelungen.
    Dann kehrt er zum Stamm zurück.
    «Amglo!»
    Die Alte kreischt seinen Namen
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