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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt
Autoren: David Baddiel
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PROLOG

    D iese Geschichte habe ich früher gern erzählt.
    Irgendwann in den späten Achtzigern ging ich mit Adam, einem Freund aus Collegezeiten, ins Phoenix Cinema in East Finchley, um mir Henry: Portrait of A Serial Killer anzusehen. Es war nicht der übliche Kinobesuch: Das Londoner Stadtjournal Time Out veranstaltete eine Sondervorführung mit anschließender Diskussion; auf dem Podium saßen einige Zensurbefürworter und Zensurgegner und der Time Out- Journalist, der den Film kürzlich als erster besprochen hatte. Das Kino war bis zum letzten Platz besetzt, und nach der Vorführung ging es hoch her: Es waren eben die 80er Jahre, als man Kulturpolitik noch wichtig nahm. Dann stand plötzlich ein paar Reihen vor uns eine Frau mit einem lila Strickhut auf und begann mit vor Wut zitternder Stimme den Time Out -Journalisten zu beschimpfen. Seine Filmkritik, schnaubte sie, habe mit keinem Wort erkennen lassen, wie gewalttätig der Film sei. Sie hätte sie gelesen, wäre hergekommen und sei jetzt schockiert, fühle sich geradezu besudelt von den drastischen Tötungs- und Verstümmelungsszenen, die sie sich habe ansehen müssen. »Sie hätten uns wirklich vorwarnen müssen«, hob sie gerade an, als ein Mann aus den hinteren Reihen rief: »Mein Gott, was haben Sie denn erwartet? Der Film heißt ja schließlich nicht Henry, der Elefant, oder?«
    Alles lachte. Im Ernst, ein Riesengelächter brach aus, ein großes Schenkelklopfen. Sogar die Frau lächelte ein bißchen durch ihre strickmützige Ernsthaftigkeit. Aber ich, ich konnte nicht aufhören zu lachen; fünfzehn Minuten später, als alle anderen sich längst wieder gefangen hatten und mit sauertöpfischen Gesichtern ihre Meinungen über das Kräftegleichgewicht zwischen Betrachter und auteur von sich gaben, kicherte ich immer noch, hielt den Atem an und guckte hinunter auf den mit Kippen und Popcornkrümeln übersäten Boden. Ich glaube, ich bin dem Mann viel schuldig. Ich glaube, dies war der Punkt, an dem die Achtziger von mir abfielen, oder zumindest, ihre Ernsthaftigkeit fiel von mir ab, diese pubertäre oder auch postpubertäre Betroffenheit über alles und jedes. Ich würde nie wieder so angestrengt sein.
    Jedenfalls traf ich kürzlich Adam wieder, und wir erinnerten uns an die Geschichte. Dabei sagte er mir, daß der Mann, der »Der Film heißt ja schließlich nicht Henry, der Elefant « gerufen hatte, tot war. Offenbar war er ein Freund von einem Freund, und Adam hatte zufällig gehört, daß er gestorben war, an was, wußte er nicht.
    Und jetzt kann ich die Geschichte nicht mehr erzählen. Zumindest nicht mehr ganz so wie früher. Ernsthaftigkeit, so scheint es, kommt in Wellen.
    D.B.1999

TEIL EINS
    Sommer — Herbst 1997

    Wenn die Liebe von einem weicht, wird sie nicht als Liebe erinnert, sondern als etwas anderes.
    E.M. Forster, Maurice

VIC

    Vic fickte sie zum ersten Mal an dem Tag, an dem Prinzessin Diana starb. Natürlich hatte er sich das Mitleidsszenarium schon vorher manchmal ausgemalt, sich vorgestellt, welche Chance es für ihn wäre, wenn sie mit irgendeinem schlimmen Kummer zu ihm käme — Probleme mit Joe, daß die Krankheit ihrer Mutter im Endstadium war, was immer. Aber um die Zeit herum war Emma eine problemfreie Zone; trotz des Zustands ihrer Mutter konnte man sich immer auf ihre Munterkeit verlassen, daß sie einem die Tür aufmachte und jedesmal so aussah, als hätte sie gerade gelacht, ihr Gesicht noch gekräuselt vom Giggeln über irgendeinen Witz, der jetzt in den tauben Äther eingegangen ist. In Vics Phantasien war es immer ganz leicht gewesen — sein tröstender Arm um ihre Schulter gelegt, der einen Hauch tiefer gleitet, einen festeren Druck und dann eine Umarmung wagt; und wenn sie sich daraus lösten, wären sich ihre Gesichter ganz nah... ja, es war ihm durch den Kopf gegangen, aber es hatte nie ganz oben auf seiner Wahrscheinlichkeitsliste gestanden, weil sie nie traurig war.
    Und dann: Sonntag, 31. August 1997. Um 8.30 Uhr weckte Tess ihn auf. Sie rief von Paris aus an, wo sie gerade mit dem Nachtzug aus Marseille angekommen war. Sie hatte im Süden Weine probiert und eine unbekannte Lage entdeckt, ein Wein, der den Markt sprengen würde, wie ein Château-Lafitte, nur ein Zehntel so teuer die Flasche. Mitten in der Nacht, erzählte sie, hätte ein Gendarm, ein richtiger Peter Sellers mit Moustache und allem Drum und Dran, seiner Kappe fehlte bloß noch das Halstuch, und er wär der leibhaftige Fremdenlegionär, forsch an
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