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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt
Autoren: David Baddiel
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wiederkehrenden inneren Ausschlag, verfluchte ihn mit Drohungen und Wutausbrüchen; er hatte ihm nie verziehen, daß wegen ihm Pathology — die publikumsscheue Band, der er in den späten Achtzigern fast seine ganze Zeit widmete- 1990 einen Talentshow-Auftritt in der Garage absagen mußte, der ihr großer Durchbruch hätte sein können, weil Vic vor Niesen einfach nicht Gitarre spielen konnte. Heuschnupfen brachte einem keinen einzigen Vorteil ein, hatte überhaupt nichts, was einen damit versöhnen konnte, so wie manche andere Allergien (Hefe: gut zum Abnehmen; Antibiotika: gut, die Ärzte zu zwingen, unübliche Medikamente zu verschreiben; Zwiebel: McDonald’s muß deine Burger extra zubereiten — da konnte man sich wenigstens als was Besonderes fühlen, dachte Vic). Aber plötzlich, zum ersten Mal in einunddreißig Jahren, sah er einen Weg, seinen Heuschnupfen zu seinem Vorteil zu wenden.
    »Kann schon sein«, sagte er mit der Andeutung eines tränigen Lächelns.
    »O Vic! « rief sie, warf sich an ihn und schrumpfte in seinen Armen zusammen wie die Knautschzonen von Dis Auto.
    Wenig später, als sie im Bett lagen, ihr schlaftrunkener Kopf vertrauensvoll auf seiner Brust, war seine erste Sorge, wie er seinen tränenreichen Anblick aufrechterhalten sollte. Was, wenn mit den verwelkenden Sommerblumen seine Augen zu triefen aufhörten: Er wollte, daß die Blüte so lange anhielt wie seine Begierde. Aber dann lächelte Gott in Vics Richtung, oh, ein großes Teletubbies-Sonnenbaby-Grinsen war es, und bedeckte ganz London für ihn mit einem Blumenteppich.

    *

    Aber sie hatte ihm nie sonderlich gefallen. Nein, nicht Emma, die hatte Vic natürlich immer gefallen: Diana. Er hatte sich nie viel aus diesem Frauentyp gemacht, diesen Bohnenstangen mit ihren hübschen, groben Pferdegesichtern. Als er noch bei Pathology spielte, hatte er sogar einen ziemlich respektlosen Song mit dem Titel »Shop Girl Queen« über sie geschrieben; jetzt war er froh, daß er nicht auf Platte aufgenommen wurde — vielleicht fiele sie dieser Tage jemand zufällig in die Finger, und er würde gelyncht.
    Elegant, das ist das Wort für diesen Frauentyp, dachte Vic, elegant — nicht sexy, nicht hübsch, nicht süß. Und auf elegant hatte Vic nie gestanden; jemand, der nur in Versace gut aussah, brachte ihn nicht aus dem Häuschen.
    Seine Affäre gedieh in den (wie von Fieber) erhitzten Bettlaken des Faschismus. England, das so tolerante England mit seiner Gedankenvielfalt, seinem Regenbogen von Meinungen! Plötzlich gab es nur einen Gedanken, war nur eine Sichtweise erlaubt, und die Gedankenpolizei war überall, im Fernsehen, in den Zeitungen, von allen Seiten wurde England von Prinzessinnen-Propaganda eingekreist. Und der größte Propagandist war das Volk selbst — nicht verwunderlich, da es ja das eigentliche Ziel ihrer Prinzessinnenhaftigkeit war. Während dieser Woche stand es unentwegt im Scheinwerferlicht, Reporter bedrängten es, hielten ihm ä la Pawlow dicke Mikrophone unter die Nase, damit es seine radikal unoriginellen Gedanken wiederkäuen konnte: »Also, ich glaube wirklich, daß sie die Königin der Herzen war.« Ich glaube — als handele es sich um einen selbständigen Gedanken. Das Volk verbrachte die ganze Woche damit, das Wort »Ich« mit dem Wort »Wir« zu verwechseln — der fundamentale Irrtum des Faschismus. Nicht nur die Leute, die People lesen, sondern alle, die Sushi- wie die Würstchenesser, der mit dem Ghetto-Blaster und die mit der Prada-Tasche, alle flennten gemeinsam, als Elton Englands Rose sein Fernseh-Adieu sang.
    Aber man kann über Faschismus sagen, was man will — er lockt die alten Emotionen wieder hervor. Und der in Dianas Todeswoche ganz besonders, weil es ein Faschismus der Gefühle war, denn genau das beinhaltete der einzig erlaubte Gedanke: Du empfindest sehr tief. England war tief bewegt, und das Volk strich sich seine Gefühle wie Fleischpastete auf die Haut. Gut so, sagte sich Vic, wenn diese Woche für dich damit endet, daß du eine Affäre hast. Sonntag: Di stirbt; Montag, Emma auf seinem Sofa — in einem Nebel aus Kummer und Lust, und Richard und Judy läuft im Fernsehen. (Aus Vics Blickwinkel war Richard und Judy diese Woche einfach fantastisch. Ein jeder hat ein geheimes Buch in seiner Seele, und diese Woche lag Vics aufgeschlagen da, und Wetten wurden notiert, wann genau Judy Finnegan in This Morning weinen würde. An einigen Tagen waren die Zeichen so deutlich, daß er bis auf die Sekunde
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