Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
seinesgleichen ist, der mich dazu bringt. Ich kann es einfach nicht ausstehen« — er wedelte ungeduldig mit der Hand in Richtung Fernseher — »wenn mich irgendein bekloppter Peter Sissons dazu bringt.« Er war jetzt wirklich wütend. Er hatte die Königin hören wollen, und jetzt stritten sie schon wieder, und er verpaßte ihre Rede.
    »Ja, wir haben jetzt genug darüber geredet. Ist ja gut. Ich finde es völlig in Ordnung, daß wir über einige Dinge anders denken«, antwortete Emma und mühte sich, eher müde als gereizt zu klingen.
    »Ach, findest du?«
    »Klar.«
    »Na ja, natürlich ist es in Ordnung, wenn wir über manche Dinge anders denken. Aber ich bin mir nicht sicher, ob du dich wirklich nicht daran störst, wenn in dieser Sache unsere Meinungen auseinandergehen.«
    Ihre tatkräftige Anteilnahme war für zahllose Menschen eine Quelle der Freude und des Trosts.
    Emma stand auf und machte sich in Richtung Küche davon. Joe überkam das kindische Bedürfnis, zumindest eine kleine Beule in den Panzer zu hauen, mit dem sie sich gegen ihn gewappnet hatte.
    »Außerdem weiß ich sowieso nicht, warum dir das Ganze so nahegeht. Ich meine...«, und hier wandte er den Kopf und sah Sylvia an, die unbeirrt auf den Schirm stierte; ein unbeteiligter Zuschauer hätte meinen können, sie tue so, als bekäme sie den Streit ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns nicht mit, aber sie verstellte sich keine Spur, »schließlich bist du ja noch nicht mal britisch .«
    Emma starrte ihn mit offenem Munde an, schüttelte aber dann den Kopf, offenbar nicht gewillt, auf ein so plattes Argument zu antworten. Sie verschwand in der Küche. Sie besaßen ein kleines Reihenhäuschen in dem nicht ganz so vornehmen Teil von Greenwich, unmittelbar unterhalb des flackernden Canary Wharf-Leuchtturms. Emma selbst hatte es in verschiedenen Abstufungen von Blau- und Rottönen herausgeputzt. Daß sie sich ein Haus gekauft hatten, keine Wohnung, war — zumindest aus der Sicht aller anderen in ihrem Freundeskreis — schon immer ein Zeichen für Emmas und Joes verfrühtes Einigeln in traute Häuslichkeit und ihren offenkundig glücklichen frühen Rückzug in die Zweisamkeit. Ein Haus bedeutet eine Geschichte, eine Wohnung drückt, räumlich, nur die Gegenwart aus.
    Joe lief Emma hinterher und faßte sie am Arm, hielt sie fest, mehr nicht — weiter wäre er nie gegangen. Trotzdem, als sie sich umwandte, blitzte in ihren grün gesprenkelten Augen jene Mischung aus Angst und Trotz, die man in häuslichen Gewaltdramen lernt. »Em...«
    »Wirklich, Joe, es ist okay «, sagte sie, wobei ihre Stimme um Festigkeit rang. Sie sahen sich in die Augen, ein Akt, der oft ein Moment der Wahrheit ist. Wie sind wir soweit gekommen? dachte Joe.
    »Ich-«, hob Emma an, und Schuldgefühle ließen ihre Züge weich werden. Sie hatte nicht vor, Joe zu beichten, wußte auch nicht, was sie eigentlich sagen wollte, aber daß sie Geheimnisse vor ihm hatte, schwärte plötzlich in ihr, und sie hatte das Gefühl, sie müsse etwas wiedergutmachen. Dann kam von den Bücherregalen an der Hinterwand ein schwaches Blubbern, so als würde jemand langsam ertrinken: Sie drehten sich um und sahen zu dem vorwurfsvoll piepsenden Babyphon hin, ein Radio, das immer auf denselben Sender eingestellt war.
    »Ich gehe«, sagte Joe, drehte sich um und verschwand durch die andere Tür. Emma sah ihm nach, und ihr fiel auf, wie gebeugt sein kräftiger Rücken war. Sowie er gegangen war, entspannte sie sich, kein unvertrautes Gefühl in den letzten Tagen.
    Mögen die Toten in Frieden ruhen, und mögen wir, jeder einzelne von uns, Gott für einen Menschen danken, der sehr, sehr viele glücklich gemacht hat.
    »Was hat die denn im Fernsehen zu suchen?« sagte Sylvia.

    Dann, am Tag der Beerdigung selbst, verließ Joe das Haus und machte einen langen Spaziergang, wanderte bis nach London hinein, um der Beerdigung auszuweichen. Er ging am Fluß entlang, verließ hin und wieder den Treidelpfad und wagte sich in die größeren Straßen vor, jedenfalls lief er den ganzen Weg vom Millennium Dome — der, fand Joe, mit seinen neuen, in die Luft ragenden Stacheln immer mehr aussah wie ein riesiger Glatzkopf, dem man eine ziemlich mißglückte Haartransplantation verpaßt hatte — bis zur Tower Bridge und wieder zurück. Und beim Gehen dachte er daran, wie er in den kommenden Jahren wahrscheinlich der einzige Mensch wäre, der erzählen konnte, wie London sich wirklich an diesem Tag anfühlte. Alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher