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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
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Inhalt sicher sehr viele Menschen machen würden. Schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt aber, dass diese Annahmen als solche ganz
unterschiedlicher Art
sind. Worin die Unterschiede genauer bestehen, werden wir in den folgenden Kapiteln noch im Einzelnen sehen. Jedenfalls spricht vieles dafür, dass diese Unterschiede auch entsprechend unterschiedliche Wahrheitsbedingungen für die jeweiligen Glaubensannahmen zur Folge haben.
    Man betrachte und vergleiche einmal die Annahmen Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 10. Erscheint es nicht schon auf den ersten Blick als sehr unwahrscheinlich, dass diese drei Annahmen sich auf ein und dieselbe Weise als wahr erweisen lassen? Wenn diese Vermutung aber zutrifft, werden wir die Wahrheitsbedingungen für die jeweilige
Art
von Annahmen gesondert prüfen müssen. Und das erfordert wiederum, dass wir die verschiedenen Arten zuvor in ihrer Verschiedenheit erkannt und zutreffend beschrieben haben.
    Außerdem ist zu bedenken, dass es auch Arten von Überzeugungen oder Glaubensannahmen gibt, deren Wahrheitsfähigkeit unter den Menschen mehr oder weniger umstritten ist. Ich denke hier an die schon erwähnten Annahmen ästhetischer Art. Und ich denke vor allem an die sonstigen Annahmen wertender, insbesondere moralischer Art, die in Kapitel5, sowie an die Annahmen religiöser Art, die in Kapitel 6 zur Erörterung anstehen.
    Bei diesen Annahmen geht es weniger um die Frage, unter welchen Bedingungen sie im Einzelfall als wahr gelten können, als vielmehr um die grundsätzlichere Frage, ob Annahmen dieser Art – also moralische und religiöse Annahmen – ihrer Natur nach
überhaupt geeignet
sind, unter irgendwelchen Bedingungen als wahr betrachtet zu werden. Jedenfalls sind derartige Annahmen – sowohl verglichen mit den zehn oben beispielhaft genannten Annahmen als auch untereinander – so unterschiedlich, dass ihr Wahrheitsanspruch eine jeweils gesonderte Behandlung erfordert.
    Damit komme ich zur dritten Bedingung des Wissens, der Bedingung oder Voraussetzung der
Rechtfertigung
des betreffenden Glaubens: Damit ein Glaube im Sinne einer subjektiven Annahme gleichzeitig ein Wissen beinhalten kann, muss der Glaube, wie wir sahen, nicht nur wahr, sondern auch gerechtfertigt oder ausreichend begründet sein. Was aber muss vorliegen, damit wir einen Glauben als gerechtfertigt bezeichnen können?
    Wenn wir uns die obigen zehn Beispiele anschauen, dürfte sofort deutlich werden, dass es auch bei der Frage der Rechtfertigung auf die spezielle
Art
der Glaubensannahme ankommt. So lässt sich etwa mein Glaube, dass vor mir jetzt ein Schreibtisch steht, natürlich nicht auf dieselbe Art rechtfertigen wie mein Glaube, dass alle Menschen sterben müssen, oder wie mein Glaube, dass alle Frauen Menschen sind. Wir müssen also die Erörterung des Rechtfertigungsproblems ebenso wie die des Wahrheitsproblems auf die folgenden Kapitel verschieben. Dabei wird es sich im Lauf unserer Untersuchungzeigen müssen, ob sich alle diese zehn Glaubensannahmen, die wir normalerweise ja als Gegenstand des Wissens ansehen würden, auch wirklich im Rahmen der Fragestellung der Kapitel 2 bis 4 als Wissen erweisen lassen. Denn unter die Fragestellung der Kapitel 5 und 6 fallen sie gewiss nicht.
    In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen: Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen wahrem und gerechtfertigtem Glauben? Laufen Wahrheit und Rechtfertigung nicht letztlich doch auf dasselbe hinaus? Unsere obigen Beispiele (S. 12 ff.) sprachen zwar für die Auffassung, dass dies nicht der Fall ist. Ich möchte diese Auffassung hier jedoch auch
allgemein
begründen. Zwei Fragen sind zu unterscheiden: 1. Ist jeder wahre Glaube notwendig auch ein gerechtfertigter Glaube? 2. Ist jeder gerechtfertigte Glaube notwendig auch ein wahrer Glaube?
    Die negative Antwort auf die erste Frage ist ohne weiteres einleuchtend. Ein Glaube oder eine Annahme, gleichgültig welcher Art, können immer auch rein zufällig wahr sein. Dies wird zum Beispiel auf die Annahme mancher Leute zutreffen, dass Goethe älter geworden ist als Schiller; sie könnten nämlich, was ihren wirklichen Kenntnisstand in der Sache angeht, ebenso gut das Gegenteil annehmen. Und es kann etwa auf den Glauben zutreffen, dass es derzeit in der Welt mehr Muslime als Katholiken gibt. Denn diesen Glauben, der wahr ist, werden sicher auch einige Menschen haben, die keinerlei Rechtfertigung für ihn besitzen, sondern vielleicht nur deshalb zu ihm
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