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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
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ist? Welchen Zugang haben wir denn überhaupt zu dieser sogenannten Realität – außer auf dem Weg über unsere jeweils subjektiven Annahmen, auf die wir unsere Überzeugungen, dass etwas wahr ist, stützen? Aber wie können wir herausfinden, ob unsere subjektiven Annahmen mit einer Realität übereinstimmen, zu der wir – außer über diese unsere Annahmen – gar keinen Zugang haben? Bewegen wir uns hier nicht in einem Zirkel, aus dem es keinen Ausweg gibt?
    Kommt es deshalb für die Wahrheit eines Glaubens vielleicht auf so etwas wie eine «Übereinstimmung mit der Realität», wie sie die sogenannte Korrespondenztheorie fordert, gar nicht an? Können wir einen Glauben vielmehr einfach dann als wahr bezeichnen, wenn sich alle Menschen in ihm einig sind? Sollte anstelle der Korrespondenz als Kriterium der Wahrheit also, wie die sogenannte Konsenstheorie verlangt, der allgemeine Konsens, die «Übereinstimmung der Menschen», treten?
    Doch eine einfache Überlegung zeigt, dass dieses Kriterium zu eng ist. Es gibt nämlich Wahrheiten, über die sich keineswegs alle Menschen – überall und jederzeit – einig sindund waren. Man denke etwa an die Annahme, die Erde gleiche in ihrer Form anstatt einer Scheibe einer Kugel – eine Annahme, von der auch heute noch keineswegs alle Europäer überzeugt sind.
    Sollte man also vielleicht sagen, es komme zwar nicht auf den Konsens
aller
Menschen an, wohl aber auf den Konsens aller
vernünftigen
Menschen? Können sich aber nicht auch «vernünftige Menschen» gelegentlich in der Wahrheit irren? So haben in früheren Zeiten bekanntlich sogar berühmte Wissenschaftler geglaubt, dass die Erde einer Scheibe gleiche. Und außerdem: Wie bestimmen wir überhaupt, welche Menschen als vernünftig zu gelten haben? Sind als vernünftig nicht am ehesten solche Menschen zu bezeichnen, die in der Regel genau das glauben, was auch wahr ist? Sind wir, so gesehen, aber nicht wieder in einem ganz ähnlichen Zirkel gefangen wie im Fall der Korrespondenztheorie der Wahrheit?
    Und ist die Einigkeit aller bzw. aller vernünftigen Menschen nicht auch noch in den folgenden beiden Hinsichten problematisch?
    1. Kann ich nicht auch ohne jeden Konsens mit meinen Mitmenschen etwa das Wissen besitzen, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht, den ich seit Jahren fast täglich im Blick habe? Und folgt daraus nicht, dass es für die Wahrheit meines entsprechenden Glaubens jedenfalls auf die
tatsächliche
Zustimmung meiner Mitmenschen gar nicht ankommt? Ist insoweit also nicht auch die Wahrheitsbedingung des Konsenses aller Vernünftigen noch zu eng? Und wäre andererseits das Abstellen auf die bloß
hypothetische
Zustimmung meiner Mitmenschen – dass sie mir zustimmen
würden,
falls sie sich in meiner Situation befänden – für die Praxis wenig hilfreich, da wir genau das ja häufig gar nicht ermitteln können.
    2. Würden wir ohne weiteres sagen wollen, dass etwa der Satz «Eichhörnchen sind schön» wahr ist – unter der Bedingung, dass insoweit alle Menschen übereinstimmen? Wäre das nicht an die sehr fragwürdige Voraussetzung gebunden, dass ästhetische Urteile ihrer Natur nach überhaupt wahr sein
können?
Ist insoweit also die Konsenstheorie der Wahrheit nicht auch zu weit?
    Wie könnten nach alledem die Voraussetzungen lauten, unter denen ein Glaube oder eine Behauptung wahr ist? Meines Erachtens lässt sich die Frage in dieser allgemeinen Form nicht zufriedenstellend beantworten. Der Grund ist dieser: Das, was offenbar Gegenstand eines wahren Glaubens sein kann, kann in seinem Inhalt ganz unterschiedlicher Natur sein. Man betrachte die folgenden Beispiele für typische Glaubensannahmen, die jeweils mit einem Wahrheitsanspruch verbunden werden.
     
      1. Mein Glaube, dass vor mir jetzt ein Schreibtisch steht.
      2. Mein Glaube, dass ich den Schreibtisch vor Jahren gekauft habe.
      3. Mein Glaube, dass der Schreibtisch auch morgen noch in meinem Arbeitszimmer stehen wird.
      4. Mein Glaube, dass alle Menschen sterben müssen.
      5. Mein Glaube, dass vor ca. 500 Jahren Martin Luther gelebt hat.
      6. Mein Glaube, dass auch meine Mitmenschen manchmal Schmerzen haben.
      7. Mein Glaube, dass die Erde rund ist.
      8. Mein Glaube, dass es Atome gibt.
      9. Mein Glaube, dass alle Frauen Menschen sind.
    10. Mein Glaube, dass zwei plus eins gleich drei ist.
    Alles dies sind Glaubensinhalte bzw. Aussagen mit Wahrheitsanspruch, wie sie mit gleichem oder sehr ähnlichem
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