Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
Vom Netzwerk:
erhält.
    Es wäre allerdings völlig falsch, den entscheidenden Unterschied zwischen der Wissensmöglichkeit in Beispiel 1 und Beispiel 2 darin zu erblicken, dass der Zeitpunkt, auf den das Wissen sich bezieht, in Beispiel 1 der Gegenwart bzw. der Vergangenheit, in Beispiel 2 dagegen der Zukunft angehört. Es gibt nämlich durchaus auch vergangene Sachverhalte, die gegenwärtig
nicht
gewusst, sowie zukünftige Sachverhalte, die gegenwärtig
gewusst
werden können. So kann heute anscheinend niemand wissen, welche Durchschnittstemperatur im August des Jahres 800 in Aachen herrschte. Andererseitskönnen heute offenbar sehr viele Menschen wissen, dass in Aachen morgen die Sonne aufgehen wird.
    Wir haben nun drei Voraussetzungen oder Bedingungen dafür kennengelernt, dass eine Person P einen Sachverhalt s weiß: 1. P muss s glauben; 2. s muss wahr sein; 3. P muss in ihrem Glauben an s gerechtfertigt sein. Jede dieser drei Bedingungen scheint für Wissen notwendig zu sein, und alle drei Bedingungen zusammen scheinen jedenfalls im Normalfall auch für Wissen hinreichend zu sein. Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung könnte jedoch die folgende Überlegung aufkommen lassen.
    Zwar kann mit Sicherheit Bedingung 1 für Wissen nicht ausreichen. Aber könnte nicht vielleicht Bedingung 1 zusammen mit Bedingung 3 ausreichen? Benötigen wir wirklich auch dann, wenn Bedingung 3 erfüllt ist, zusätzlich noch Bedingung 2? Genauer gefragt: Ist Bedingung 2, also die Wahrheit von s, nicht automatisch ebenfalls erfüllt, sofern Bedingung 3, also die Rechtfertigung des Glaubens an s, erfüllt ist? Kann ein Glaube denn gerechtfertigt sein, wenn er nicht gleichzeitig auch wahr ist? Andererseits: Kann der Glaube einer bestimmten Person P nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt speziell für P gerechtfertigt sein und trotzdem, objektiv betrachtet, falsch sein und damit auch für P kein eigentliches Wissen darstellen?
    Nehmen wir in unserem Beispiel 1 einmal an, dass A seinen Glauben an die Verkaufszahl seines letzten Buches auf eine entsprechende schriftliche Mitteilung seines Verlages stützt. Dann wird man As Glauben doch sicher für gerechtfertigt erklären können. Nehmen wir nun aber weiter an, dass die Mitteilung des Verlages, wie sich später herausstellt,einen Schreibfehler enthält: In Wahrheit waren statt 2012 nur 1012 Exemplare verkauft worden. Würden wir in diesem Fall etwa sagen, dass As falsche, wenn auch seinerzeit gut begründete Annahme auch nach unserem heutigen Stand als Wissen bezeichnet werden kann, dass wir also behaupten dürfen «A wusste seinerzeit, dass ca. 2000 Exemplare seines Buches verkauft waren»? Würden wir nicht vielmehr sagen «Zwar glaubte A damals begründeterweise zu wissen, dass ca. 2000 Exemplare seines Buches verkauft waren. Wie wir heute wissen, war As damaliger Glaube jedoch falsch»?
    Allem Anschein nach ist also neben Wissensbedingung 3, der Rechtfertigungsbedingung, Wissensbedingung 2, die Wahrheitsbedingung des betreffenden Glaubens, durchaus unverzichtbar. Wir sehen schon an dieser Stelle, dass die gesamte Fragestellung um die Voraussetzungen unseres Wissens sich jedenfalls nicht mit einigen wenigen Sätzen und ohne allen Zweifel beantworten lässt. Dies wird noch deutlicher werden, wenn wir uns nun die Frage stellen, wie wir die drei genannten Wissensbedingungen genauer zu verstehen haben.
    Beginnen wir mit der Bedingung oder Voraussetzung des
Glaubens.
Genügt hierfür eine vage Annahme oder Vermutung? Wohl kaum; um von einer Person P sagen zu können, dass sie einen bestimmten Sachverhalt s
weiß,
muss ich auch sagen können, dass P von s fest überzeugt ist, dass P an der Wahrheit von s nicht zweifelt. Wenn P es etwa nur
hofft
oder vielleicht auch mit Recht für
wahrscheinlich
hält, dass er demnächst einen Ruf an die Universität München erhalten wird, so kann er dies jedenfalls nicht wissen. Um etwas zu wissen, muss man sich der Wahrheit seiner Annahme gewiss sein.Man kann deshalb auch dann, wenn P tatsächlich einen Ruf an die Universität München erhält, nicht sagen, dass P dies vorher wusste.
    Weit schwieriger erscheint es, die Bedingung oder Voraussetzung der
Wahrheit
des betreffenden Glaubens näher zu bestimmen. Wann dürfen wir einen Glauben eines Menschen als wahr bezeichnen? Offenbar dann, wenn der betreffende Glaube zutreffend ist, wenn er mit der Realität, mit den Fakten übereinstimmt. Wann aber ist dies der Fall? Und wie können wir herausfinden, ob dies der Fall
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher