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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie
Autoren: Detlef Horster
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[8]
Was ist Moral?
    In philosophischen Seminaren oder in alltäglichen Gesprächen taucht immer wieder die Frage auf, was denn eigentlich Moral ist. Man könnte nun auf die augustinische Antwort auf die Frage nach der Zeit zurückgreifen: Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich, was sie ist. Damit wollen wir uns nicht zufriedengeben, vielmehr soll die Frage nach der Moral die leitende Frage dieser Monografie sein. Es werden in neun Kapiteln verschiedene Zugänge erprobt.
    Einerseits wird gesagt, dass es
die
Moral gar nicht gibt, weil Moral kulturabhängig ist. Andererseits wird behauptet, dass grundlegende moralische Regeln zu allen Zeiten und in allen Kulturen dieselben seien. Zwei gegensätzliche, einander ausschließende Meinungen, die die Frage provozieren, was denn nun richtig ist. Hier liegt ein Ansatzpunkt, um den ersten Mosaikstein für die Antwort auf unsere Leitfrage zu bekommen. Verschiedene Regeln, die unstrittig als moralische bezeichnet werden, sollen analysiert werden, um zu sehen, was das Verbindende solcher Normen ist. Dabei muss die Suche deshalb mit unstrittigen moralischen Regeln beginnen, weil nicht bei allen Verboten oder Geboten klar ist, ob es sich um moralische handelt. Es gibt auch Traditionen oder bloße Konventionen und rechtliche Regeln. Davon müssen wir die moralischen abgrenzen. Von Werten muss die Moral ebenfalls abgegrenzt werden; doch leiten sich die moralischen Pflichten aus Werten ab. Ein hoher Wert ist beispielsweise das menschliche Leben oder die Gesundheit beziehungsweise die körperliche und geistige Unversehrtheit. Wir haben entsprechend moralische Normen, Regeln oder Pflichten, die diese Werte schützen sollen. Da gibt es das moralische Verbot, zu töten, und das moralische Gebot, Leben zu schützen. Da gibt es das Verbot, [9] Menschen zu quälen oder zu foltern; ebenso wenig ist Psychoterror oder Stalking moralisch erlaubt; rechtlich ebenfalls nicht. Ein anderer hoher Wert ist die wechselseitige Achtung. Daraus ergibt sich die Pflicht des rücksichtsvollen Umgangs miteinander oder die Pflicht, ein einmal gegebenes Versprechen zu halten. Die Untersuchung und der Vergleich solcher unbestrittenen moralischen Regeln können dazu dienen, ihren Kerngehalt zu ermitteln und eine erste Moraldefinition vorzunehmen: Moral ist die Gesamtheit der Regeln, die zur Realisierung der Werte oder zum Wohl der Menschen beitragen. Man kann auch sagen, dass die moralischen Regeln, wenn sie angewendet werden, die Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, schützen sollen. Das bedeutet – vor allem mit Blick auf die letztgenannte Pflicht, das Halten von Versprechen –, dass es durchaus sein kann, dass man manchmal zu Handlungen verpflichtet ist, die nicht im eigenen Interesse liegen, ja, die zuweilen dem Eigeninteresse zuwiderlaufen und zu deren Einhaltung man sich bei freier Wahlmöglichkeit nicht ohne Weiteres verpflichten würde. (So auch Schaber 2003, 20)
    Sind nun diese moralischen Regeln, die für uns unbestritten moralische Regeln sind, in anderen Kulturen und Gemeinschaften ebenfalls unbestrittene moralische Regeln oder gibt es in jeder Kultur jeweils eigene? Dazu das Beispiel einer anderen moralischen Pflicht, der Fürsorgepflicht, die wir gegenüber Kindern oder gegenüber unseren hilfsbedürftigen alten Eltern haben. Sie ist weltweit verbreitet. Wie man ihr allerdings nachkommt, hängt vom kulturellen Kontext ab. In unserer Kultur wird das vierte Gebot dadurch erfüllt, dass wir die Verantwortung für das Wohlergehen oder die Pflege unserer alten Eltern übernehmen. Bei den Eskimos – so schildert McNaughton – wird dieses Gebot dadurch erfüllt, dass der Vater mit dem Sohn ein letztes Mal auf die Jagd geht, sich danach von dem Sohn verabschiedet und sich auf eine Eisscholle legt, um zu sterben. »Der Anteil des Sohnes an [10] diesem Ritual sieht wie ein Beispiel aus, wie man seine Eltern ehrt.« (McNaughton 2003, 236f.)
    Franz von Kutschera berichtet: »Bei den Papuas auf Neuguinea dient die Kopfjagd dazu, Namen im Sinn von Identitäten für die eigenen Kinder zu beschaffen. Sie glauben, ein Kind könne nur dadurch eine personale Identität erlangen, daß man sie einem Lebenden nimmt. Daher erfüllt ein Familienvater mit der Kopfjagd eine Fürsorgepflicht für seine Kinder.« (Kutschera 1999, 248) Ein anderes Beispiel von derselben Insel: Dem Gebot der Fürsorgepflicht für die Neugeborenen kommen die Eipo, ein Eingeborenenstamm auf Neuguinea, in einer Weise nach, die uns
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